Der Journalistische Katechismus ist eine Handreiche für all jene, die dauernd irgendwas mit Medien machen und darum keine Zeit haben, Machiavellis Il Principe zu lesen. Deshalb erscheint er auch häppchenweise in Serie.
Was ist eine Versuchung?
Ein heftiger und gewisser Maßen gewaltsamer Reiz des Journalismus zum Bösen – gemeinhin wird »Korruption« als dieses Böse verstanden; wir fassen darunter aber nur solche, die augenscheinlich und aktenkundig wird, weil das Auflage und Anzeigenakquise schadet.
Was ist eine Täuschung?
Eine falsche Beredung, welche den Journalismus betrügt und ihn unter dem Scheine der Unabhängigkeit zur Unrentabilität verführen will.
Wie vielerlei Versuchungen gibt es?
Man kann die Versuchungen vielfältig abtheilen. Erstens in Hinsicht auf den Pressmenschen, der verschiedenartig davon ergriffen wird; denn einige machen die Reputation gar zu verzagt, andere erheben sie über Gebühr. Auf die erste Gattung beziehen sich die Beunruhigungen des Gemüthes – der Hang zu Blood & Gore Journalism, Doom & Gloom Clickbaits, Celebrity-Voyeurismus und Hochjazzen emotionalisierter Scheindebatten. Man mag dies als Kapitulation vor einem imaginierten journalistischen Ethos ansehen – ins Reich des Bösen wandert aber nur, wer sich dabei erwischen lässt, mittels der Androhung von Enthüllungen Anzeigen oder Exklusivgeschichten abzupressen. Zur zweiten Gattung gehört alles, was sich scheinbar an der StVO der high road orientiert – der Ton ist salbungsvoll, das Gebaren manierlich. Propaganda von Regierungen, PR-Agenturen oder Think-Tanks wird nicht als solche bezeichnet, aber verbreitet – basierend auf »informierten Kreisen«, »Hintergrund«- und Kamingesprächen; gerne auch in Form von Homestories. Kritik wird gefordert, aber nicht toleriert und die Medaille hat immer zwei – gleichwertig glänzende – Seiten. Auch die Vorteilnahme ist diskret – man trifft sich in Clubs und beim Essen, plant Karrieren um Sekt O‘Clock zwischen Gaumenkitzlern und Ohrenschmeichlern. Der Sündenfall besteht auch hier darin, bei den Abmachungen schriftliche Spuren zu hinterlassen, denn: Alter - dann geht‘s aber ab.
Ferners erhalten die Versuchungen ihre Benennung in Hinsicht auf ihren Gegenstand, wozu sie antreiben (mehr Geld, höhere Posten). Endlich kann man sie auch nach den verschiedenen Tugenden, welche sie anfeinden, unterscheiden (Integrität or simple human decency).
Welche sind die Rettungsmittel bei den Versuchungen?
Wachet und betet, sagt der Presserat, auf daß ihr nicht in Versuchung fallet (aber auch ER kann geschlossene Druckereien nicht wiedererwecken). Besonders den Versuchungen gegen offensichtliche Käuflichkeit (Nota bene: Für‘s Inserat gibt‘s ein Gegengeschäft) muß man begegnen mit Homilien auf die segensreiche Kraft der vierten Gewalt und Enunziationen, wonach die eine (redaktionelle) Hand nicht wisse, was die andere (kaufmännische) tue – je nachdem, welche juckt, sind Neuigkeiten oder Geld zu erwarten. Schließlich aber auch mit der Aufgabe jeglichen Anspruchs auf journalistische Glaubwürdigkeit: Anstatt ökonomische Sachzwänge zu den Morlocks der schönen Pressmaschine zu machen, auf deren Rücken die ätherischen Eloi schöngeistern, sollte die zuvor verfemte Antriebskraft wholeheartedly embraced werden. Nachdem der Überbau ohnehin à la longue vom Unterbau gefressen werden wird, lasst uns rufen: Si, cazzo! We‘re open for business, alles ist käuflich, tout va, everything must go… Diejenigen aber, welche von Vermessenheit und eitlem Vertrauen auf sich versucht werden, müssen sich befleißigen, ihre Hände in Unschuld zu baden, nachdem die eine die andere gewaschen hat. Aber die Versuchungen des Hasses und des scoop envy gegen den journalistic competitor darf man nicht dadurch bekämpfen, daß man davor flieht; sondern man muß denen, gegen welche wir eine Abneigung haben, entgegengehen, ihnen mit Höflichkeit begegnen und sanft und demüthig mit ihnen reden (oder sie mit Material aus der Giftküche abschießen).
Wie vielerlei Täuschungen gibt es, die journalistischen Personen nachstellen?
Es gibt derer drei, welche mit den Stufen der Vollkommenheit, der der Anfänger, der der Fortschreitenden und derer der gänzlich Vollkommenen, im Verhältnis stehen.
Welche Täuschung ist für die Anfänger gefährlich?
Diese, daß die Anfänger, getrieben von einem blinden, unbescheidenen Eifer, den First-mover Advantage zu realisieren, ein gehöriges Ziel und Maß überschreiten, und dadurch ihrer Karriere beträchtlich schaden. Die Augen auf die breaking story gerichtet, verlassen sie den Mittelweg und wirbeln bei ihren Recherchen Staub auf, der auch von der Chefredaktion nicht so ohne weiteres unter den Teppich gekehrt werden kann, damit nicht die Falschen Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit werden. Andererseits ist ein wenig Angstschweiß auf dem Antlitz der best buddies in Politik & Wirtschaft kaum mit Gold aufzuwiegen, weil er den Preis für Interventionen in die Höhe treibt und sie gefügiger macht.
Wie kann man sich gegen diese Täuschungen in Acht nehmen?
Die sich der Tugend ergeben, müssen ganz und gar ihrer Klugheit mißtrauen, und der Leitung der Chefredaktion in allen Stücken folgen, damit sie vom Herausgeber zur Belohnung des Gehorsams gegenüber denen, die über Inserate entscheiden, auf den Weg der Leitung eines eigenen Ressorts geführt werden.
Welches ist die andere Täuschung?
In diese fallen leicht solche, welche in der Verwohlfeilerung des journalistischen Lebens zwar schon einige Fortschritte gemacht haben, nun aber auf einmal das, was in der Vollkommenheit das Höchste ist, erreichen wollen. Sie betrachten nämlich die (symbolischen und finanziellen) benefits and compensations, deren vollkommenen Reinerlös sie im Zustande der Einigung genießen. Angelockt und entzündet von der Begierde darnach, strengen sie alle Kräfte an, um sich zu einem so wonnevollen und glückseligen Zustand mit Gewalt zu erheben. Nun scheint es ihnen, sie hätten den Gipfel und die oberste Stufe der Vollkommenheit schon erklommen und behaupten, in diesem einfältigen Aufblicke sey für sie schon alles in Bereitschaft.
Was widerfährt endlich solchen Menschen?
Wenn sie alt werden, oder etwa in eine Korruptionsermittlung sich versetzt sehen: so kömmt es zum Vorscheine, wie sie wirklich beschaffen sind, nämlich leer von der Gnade und von Tugenden, und ganz unbereitet, weil sie den gebahnten und nothwendigsten Weg, und die feste Grundlage (das Fundament) des ganzen geistigen Gebäudes außer Acht gelassen haben, indem sie das eigene Fortkommen über das Wohl des Verlags gestellt haben.
Wie kann eine so gefährliche Täuschung beseitigt und geheilt werden?
Durch Versetzung in das Society-Ressort, wo zu forsches Vorgehen allenfalls den Groll verzärtelter Promis nach sich zieht, die sich in ihrer Wertschätzung gemindert sehen. Da diese aber auch für die gehobene Presse am interessantesten sind, wenn sie ruiniert und verzweifelt sind, kann das dem news outlet nur recht sein.
Welches ist die dritte Gattung der Täuschungen?
Von dieser werden Menschen betrogen, welche auf den journalistischen Wegen schon ziemlich bewandert sind und viele Fortschritte gemacht haben. Einige von ihnen lassen sich von einer fühlbaren Süße und von den Wonnen des medialen Lebens unmäßig festhalten. Daher kommt es dann, daß solche Leute, voll von sich selbst und trunken von Eigendünkel, wähnen, that they pull their own weight. Tatsächlich machen sie sich gerade dadurch, dass sie sich nicht um die größeren strategischen Zusammenhänge kümmern, mehr zu einer liability als einem asset. Sie haben die falsche Süßigkeit gekostet, die Mächtigen erbleichen zu lassen, ohne aber ihrer corporate responsibility gewahr zu sein und das Unternehmen, dem sie alles verdanken, dem Unflathe aussetzen.
Was für ein Hilfsmittel gibt es gegen diese Täuschungen?
Wie ein guter Apportierhund muss der Pressmensch darauf gedrillt sein, die fütternde Hand zwar anzubellen, aber niemals wirklich zu beißen. Am besten lässt sich derartige Fügsamkeit im Rahmen der Ausbildung trainieren – etwa in Kontentagenturen und Media Hubs.