Warpantrieb und Einhornfürze

Svenna Triebler über die Propagandafloskel »Technologieoffenheit« im Rahmen der Debatte um erneuerbare Energien.

Die gute Nachricht zuerst: Die weltweite Energiewende ist in vollem Gange, das Wachstum von Wind- und Solarenergie sowie Speichertechnik verläuft exponentiell; die Nachfrage nach Kohle, Gas und Öl wird im Laufe eines Jahrzehnts zusammenbrechen. Zu diesem Schluss kommt das Rocky Mountain Institute, eine US-amerikanische Non-Profit-Organisation zur Forschung und Beratung im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Der Think Tank RethinkX wiederum hat ausgerechnet, dass Deutschland bis 2030 seinen Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen beziehen und bis 2035 seine komplette Energieversorgung klimaneutral bestreiten könnte - und dafür weniger Geld in die Hand nehmen müsste, als derzeit für fossile Energien ausgegeben wird.

Die schlechte Nachricht: All das kommt reichlich spät, selbst eine Fossil-Vollbremsung könnte die globale Erwärmung nicht mehr stoppen, nur noch abmildern, das 1,5°-Klimaziel besteht nur noch auf dem Papier. Und je erfolgreicher die erneuerbaren Energien das Geschäftsmodell der fossilen Industrien infrage stellen, um so heftiger ist deren Gegenwehr - in Deutschland eifrig unterstützt von insbesondere zweien der drei Regierungsparteien: von der SPD aus Tradition, von der FDP aus Prinzip und von beiden aufgrund »guter Vernetzung mit der Wirtschaft«, wie Korruption vornehm umschrieben wird, wenn sie in (West-)Europa stattfindet.1 

Ein Kampfbegriff in diesem Abwehrgefecht lautet »technologieoffen«, was schön in die Floskelwolke rund um »Innovation« und »zukunftsfähig« passt und übersetzt schlicht bedeutet: »Was kümmert uns bewährte Technik wie Solar und Wind, eigentlich wollen wir weitermachen wie bisher, bloß mit Warpantrieb und Einhornfürzen.«
Dementsprechend hört man das Schlagwort vor allem von Anhängern der Verbrennertechnologie - allen voran von Vertretern des politischen Arms der Autoindustrie in den Parlamenten und Regierungen -, die für E-Fuels und Wasserstoff werben, weil die deutschen Autohersteller die Antriebswende verschlafen haben2 und fürchten müssen, von der Elektro-Konkurrenz überrollt zu werden.
Zu nennen wären in der Riege der »Technologie-offenen« außerdem all jene, die in der aus dem Ukrainekrieg resultierenden Energieknappheit ihre Chance sehen, die Kernkraft wieder salonfähig zu machen. (Man darf vermuten, dass sich so manche damit unausgesprochen die Option auf die Atombombe offenhalten wollen - denn dafür braucht es AKWs, in denen waffenfähiges Material erbrütet werden kann.)

Atomkraft? Jein danke

In einer Betrachtung sogenannter Zukunftstechnologien hat die geradezu altbackene wirkende Spaltung von Atomen eigentlich nichts zu suchen. Da sich kürzlich aber Atomkraftbefürworter aus Union und FDP begeistert auf eine Äußerung von Greta Thunberg stürzten, weil sie darin eine Unterstützung ihrer Position sehen wollten, sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Klimaaktivistin keineswegs fordert, massenhaft neue AKWs aus dem Boden zu stampfen - vielmehr betonte sie sogar, dass sie grundsätzlich gegen Atomkraft sei. Sie glaube aber, »dass es aktuell schlechter ist, bestehende Atomkraftwerke zu stoppen, wenn Kohle die Alternative ist«, sagte Thunberg dem deutschen Magazin »Stern«.
Ein Notnagel also und eher ein Argument, den Ausbau der erneuerbaren Energien mit Hochdruck voranzutreiben. Wem Tschernobyl und Fukushima nicht für die Erkenntnis ausreichen, dass Kernenergie möglicherweise keine gute Idee ist, der sei daran erinnert, dass der Klimawandel den Atomausstieg ganz von selbst vollzieht, wenn Flüsse versiegen und plötzlich kein Kühlwasser mehr da ist. 

Der Stoff, aus dem die Träume sind

Wenn von der Energieversorgung der Zukunft die Rede ist - was ganz wunderbar von den Versäumnissen ablenkt, in der Gegenwart die naheliegenden und angesichts des Klimanotstands dringend gebotenen Maßnahmen zu ergreifen -, darf der Wasserstoff nicht fehlen. Tatsächlich hat das ungiftige, allerdings hochexplosive Gas seine Vorteile: Es besitzt eine hohe Energiedichte, bei der Verbrennung entsteht lediglich Wasser und es droht auch keine Knappheit des mit Abstand häufigsten Elements des Universums.3 
Was allerdings beim Hype gerne unterschlagen wird: Auf der Erde kommt Wasserstoff überwiegend gebunden vor, größtenteils in Form von Wasser, außerdem in organischen Verbindungen wie z. B. Erdgas. Er muss also erst einmal in Reinform gewonnen werden, und das kostet Energie. Für »grünen«, also klimaneutral aus Wasser hergestellten Wasserstoff braucht es daher zunächst einmal - ja was wohl? Solar- oder Windenergie.
Die ließe sich jedoch in den meisten Fällen besser direkt nutzen, schließlich sinkt mit jedem Zwischenschritt der Wirkungsgrad. Ein mit Solarstrom fahrendes E-Auto beispielsweise nutzt die Energie deutlich effektiver als eins mit Brennstoffzelle, egal, wie grün der Kraftstoff ist.
Als Energiespeicher bietet sich das Gas allerdings durchaus an: Wenn Sonne oder Wind gerade mehr Strom liefern, als verbraucht werden kann, lassen sich damit Elektrolyseure zur Gewinnung von Wasserstoff betreiben. Der könnte etwa in der chemischen Industrie genutzt werden, wo bislang »grauer« Wasserstoff (s. u.) verwendet wird, oder für Anwendungen, die zu energiehungrig für Elektromotoren sind.

Jedoch ist Wasserstoff auch dort, wo Kraftstoffe mit hoher Energiedichte benötigt werden, nicht immer die sinnvollste Option: etwa auf der Schiene, wo geprüft wird, die auf nicht elektrifizierten Strecken eingesetzten Dieselloks durch Wasserstoffzüge zu ersetzen. Jedoch schneidet auch in diesem Fall der Elektro-Akku besser ab, und zwar in Form von Batterie-Hybrid-Zügen, die ihren Akku auf Strecken mit Oberleitung aufladen.4  

Und dann ist da noch der winzige Haken, dass bislang nur fünf Prozent des in Deutschland produzierten und verbrauchten Wasserstoffs klimaneutral hergestellt werden. Überwiegend handelt es sich um »grauen« Wasserstoff, der aus Erdgas, Kohle oder Öl gewonnen wird, mit CO2 als Abfallprodukt. Dass das Gas trotz all seiner Beschränkungen und Nachteile stets ganz vorne genannt wird, wenn es um umweltfreundliche Energieträger geht, ist vor allem einer erfolgreichen PR-Strategie der fossilen Industrie, insbesondere aus dem Gassektor, zu verdanken, die zum einen den grauen Wasserstoff als »Brückentechnologie« vermarkten kann und zum anderen ihre Infrastruktur für die Wasserstofftechnik nicht groß umstellen müsste.

Pack die E-Fuels in den Tank?

Gleiches gilt für sogenannte E-Fuels. Dabei handelt es sich um einen zusätzlichen Verarbeitungsschritt von regenerativ gewonnenem Wasserstoff. Zusammen mit Kohlendioxid wird daraus ein Synthesegas erzeugt, das - die fossile Industrie freut’s - in konventionellen Raffinerien zu Benzin, Diesel oder Kerosin verarbeitet wird.
Sinnvoll einsetzen ließen sich die Treibstoffe am ehesten dort, wo ein Elektro- oder Brennstoffzellenantrieb nicht in Frage kommt: Vor allem Schiffe oder Flugzeuge können nicht einfach schwere Akkus oder riesige Wasserstofftanks mit sich rumschleppen.5  
Den Einsatz in Pkw hingegen sieht selbst der Bleifuß-Verband ADAC kritisch, weil der Wirkungsgrad aufgrund der vielen Zwischenschritte indiskutabel niedrig ist: »Von der im Prozess eingesetzten Energie bleiben am Ende nur zehn bis 15 Prozent übrig. Im Elektroauto kommen 70 bis 80 Prozent der Ausgangsenergie am Rad an.«
Dennoch wurde über E-Fuels zuletzt vor allem im Zusammenhang mit dem EU-weiten Zulassungsverbot für Verbrenner-Pkw ab 2035 gesprochen, weil insbesondere die FDP weiter auf Ausnahmen für CO2-neutral hergestellte Kraftstoffe drängt. Die elektrifizierungsunwillige deutsche Autoindustrie wird es sicherlich mit Pöstchen im Aufsichtsrat danken.

Zukunftsmusik

Hinter den beiden Technologien, über die beim Thema Energiewende meistens gesprochen wird, als müssten die Rohstoffe nur irgendwo abgebaut werden, stecken letztlich also wieder Sonne und Wind. Dass vor allem deren indirekte Nutzung so stark im Fokus steht, dürfte neben den genannten technischen und infrastrukturellen Gründen nicht zuletzt daran liegen, dass sich kaum Profit machen lässt, wenn die Energieversorgung zu weiten Teilen dezentral über private Photovoltaikanlagen und kommunale Windparks erfolgt. Um es mit den Worten zu sagen, die eine Karikatur des Satiremagazins »Mad« bereits in den 1990ern einem Ölbaron in den Mund legte: »Die Sonne ist eine kommunistische Verschwörung!«

Bezeichnenderweise spielen andere Wege der Energiegewinnung in den Rechnungen der eingangs zitierten Organisationen praktisch keine Rolle. Dabei mangelt es nicht an Berichten über angeblich bahnbrechende Erfindungen, die - morgen, morgen, nur nicht heute - auf magische Weise dafür sorgen sollen, dass wir (lies: der globale Norden) so verschwenderisch weiterleben können wie bisher. Ob aber künstliche Photosynthese, Gewinnung von Treibstoffen aus Algen oder Gezeitenkraftwerke: Die entsprechenden Technologien befinden sich allesamt im Experimentalstadium, mit unklaren Erfolgsaussichten. 
Auch die schon recht gut erforschte Geothermie dürfte in Zukunft keine nennenswerte Rolle spielen. Es gibt nur wenige geeignete Standorte, das Potenzial ist bescheiden (selbst eine Vulkaninsel wie Island könnte jährlich nur rund 1-2 Gigawatt Strom aus Erdwärme erzeugen, was nicht einmal ausreicht, um den Verbrauch der etwa 300.000 Einwohner von etwa 30 Gigawatt abzudecken) und wirklich nachhaltig ist die Technologie auch nicht: Geothermiefelder erschöpfen schnell, weil meist mehr Wärme entnommen wird, als aus dem Erdinneren nachgeliefert wird.
Und dann ist da noch die Kernfusion, die, sollte sie auf der Erde jemals funktionieren, tatsächlich immense Energiemengen liefern könnte, und das im Vergleich zur Kernspaltung relativ risikoarm. Das ginge jedoch nur mit zentralisierter Großtechnologie, samt Verwundbarkeit und Tendenzen zur Monopolbildung, die so etwas mit sich bringt. Darüber muss man sich derzeit jedoch noch keine Sorgen machen, denn seit Beginn der Fusionsforschung vor über einem halben Jahrhundert bis heute rechnet man mit einer Marktreife der Technik in etwa 30 Jahren. Fachleute nennen das ironisch die Fusionskonstante.

Dabei existiert bereits ein gigantischer Fusionsreaktor, der die Erde seit vier Milliarden Jahren zuverlässig mit Energie versorgt. Statt die Prozesse nachzuahmen, die die Sonne zum Leuchten bringen, wären die dafür ausgegebenen Milliarden besser im Ausbau der Photovoltaik investiert. Aber damit wären wir ja wieder bei der kommunistischen Verschwörung.

[1] Das soll nicht heißen, dass die Grünen weniger korrumpierbar wären; dies bewies zuletzt in NRW der faule Kohlekompromiss als Gegenleistung für ein paar Ministerposten. Die Partei hatte bloß drei Jahrzehnte weniger Zeit, entsprechende Seilschaften zu bilden.
[2] Dass auch die Antriebswende letztlich ein »Weiter so« ist, das den Unwillen zu einer echten Verkehrswende weg vom motorisierten Individualverkehr verschleiert, sei nur am Rande erwähnt.
[3] Auf der Erde beträgt der Massenanteil zwar nur rund ein Prozent, aber auch das ist mehr als reichlich.
[4] Natürlich könnte man auch die Elektrifizierung des Bahnnetzes vorantreiben, aber dafür müsste man ja Geld in die Hand nehmen - und daran mangelt es dem Schienensektor chronisch, weil er seit Jahrzehnten von einer autofixierten Verkehrspolitik vernachlässigt wird. Das Verkehrsministerium fördert lieber Gaga-Projekte wie elektrische Lkw, die an über der Straße angebrachten Oberleitungen fahren - als habe man noch nie etwas von Güterzügen gehört.
[5] Fraglich ist allerdings, ob sich der weltweite Treibstoffbedarf dieser Sektoren durch (insbesondere mit überschüssiger Wind-/Sonnenergie erzeugte) E-Fuels decken ließe, ohne die Zahl an Flügen, Containertransporten etc. drastisch zu senken.