»Durch christliche Phantasien befreit man sich nicht vom Naturzwang« hat der Schriftsteller Karl Bleibtreu einmal geschrieben. Aber wodurch dann, und welche »Natur« ist dabei gemeint? Dass die erste Natur immer durch die zweite vermittelt und kulturell überformt ist, ist zwar ein Gemeinplatz, ihn in seiner Bedeutung auf verschiedenen Ebenen zu konkretisieren aber Aufgabe von Kritik. Weil der Begriff »Natur« so ein weites Feld ist, sind auch die Themen der Artikel zum Schwerpunkt in dieser der Versorgerin recht breit gestreut. Den Anfang macht Felix Riedel mit zwei Beiträgen: Ein Text handelt vom »Animismus der Kritischen Theorie«, den er – anhand der Tierbezüge bei Theodor W. Adorno und Siegfried Kracauer – als zentrales Moment kritischer Theorie ausweist, wenn es um die Möglichkeit versöhnter Natur geht. Sein Eröffnungstext beschäftigt sich dagegen mit »Ökologie als Praxis kritischer Theorie«, um »die Lust am Erleben des Anderen, am Differenzieren« zu bewahren. Riedels Bezug auf einen Text Gerhard Scheits beantwortet dieser in einem Kommentar auf der selben Seite. In seinem Beitrag zu dieser Versorgerin diagnostiziert Scheit bei Judith Butler einen mangelhaften Umgang mit Materialität. Magnus Klaue widmet sich ausgehend von Alexander Kluges Dankesrede zum Adorno-Preis dem Schlussfragment aus der Dialektik der Aufklärung, »Zur Genese der Dummheit«. An der Taubenzucht als Indikator für den Stand der Vermittlung von Kultur und Natur versucht sich Claus Harringer und Svenna Triebler untersucht zwei jüngere Varianten von »Ernährungsreligionen«. Armin Medosch zeichnet in seinem Auftakttext zu der neuen Serie »Mythos Kunst« die historische Genese der Figur des »Künstlers«. Apropos Serie und Auftakt: Nachdem Clemens Nachtmann in der Versorgerin #104 sich Gedanken über das Problem der Vermittlung von »Neuer Musik« gemacht hat, schildert er im zweiten Teil von »Sich einlassen mit der Neuen Musik« seine eigenen Erfahrungen mit dem Kompositionsprozess. Auf die Rezeption der Künstlerin und Musikerin Kim Gordon und ihrer kürzlich erschienenen Autobiographie hat Ana Threat einen Blick geworfen, Erwin Riess lässt Herrn Groll die österreichische Sozialpolitik kommentieren und Franz Xaver sondiert die Potentiale sinnfreier Informationen in Form eines Laborgedankens. Als zweiter Schwerpunkt hat sich das Thema »Selbstverwaltung« herauskristallisiert: Lisa Bolyos beschreibt die Debatten und Forschungen zu selbstverwalteten Betrieben in Argentinien (»recuperadas«), Tanja Brandmayer stellt das Linzer Kollektiv HabiTAT und dessen Konzept von genossenschaftlichem Wohnen vor, während sich Pamela Neuwirth auf die Spuren des Architekten Karl Theodor Demants begibt, der im Linz der 1930er Jahre eine Genossenschaft für Arbeitslose gegründet hat. Auch wenn nach Brecht die Schwärmerei für die Natur von der Unbewohnbarkeit der Städte kommt, wünschen wir
bei der Lektüre der Versorgerin den einen oder anderen Tagtraum im Freien.
Die Redaktion