Die Dampfmaschine brachte den Hunger nach den komprimierten Kondensaten der Opfer von Naturgeschichte, die fossilen Energien. Industrialisierung kannte da bereits einen lebendigen, nachwachsenden Energieträger: Wal. Das Fett der Tiere wurde für jenes Nitroglyzerin verwendet, mit dem man Kohleflöze aufsprengte, es wurde in Straßenlaternen und Fabriken verheizt. Die Übernutzung von 10.000 erbeuteten Tieren pro Jahr zu Marx’ Lebzeiten wurde trotz Erdöl im 20. Jahrhundert erweitert. 1930-31 wurden mit ausgefeilten Fangtechniken 30.000 Blauwale getötet, 1938 stieg Deutschland im Zuge der nationalsozialistischen Kriegsvorbereitungen zur drittgrößten Walfangnation auf. 1960-1964 erbeuteten sowjetische und japanische Fangflotten 127.000 Pottwale.
Mehr als zwei Millionen Wale waren im 20. Jahrhundert durch Kamine und Gewehrläufe, Soldatengedärme und Modeprodukte gewandert.1 Der Fang eines einzigen Blauwals würde heute einen internationalen Proteststurm entfachen. Auch die rostenden Pinguinfettextraktionsanlagen am Nugget Point sind Zeugen einer Praxis, die heute Sakrileg wäre.
Und doch war der Waltran ein vergleichsweise nachhaltiger Rohstoff. Die Dezimierung der Wale hat Beutetier-Kreisläufe verändert, aber ansonsten über hunderte von Jahren wenig ökologische Folgen nach sich gezogen.
Für Palmölplantagen hingegen beseitigt man Orang Utans als lästige Schädlinge, ganze Ökosysteme mit zehntausenden Arten wurden in wenigen Jahren in Fritteusen, Tanks, Kosmetika und Kraftwerken verheizt, meterdicker Torfboden in Smog verwandelt, der chinesischen Städten den Atem raubt. 2022 werden 98% der indonesischen Wälder verschwunden sein.2 Ähnliche Prozesse finden in allen Regenwaldregionen statt. Binnen 50 Jahren wurden 95% des Waldes der Elfenbeinküste für Plantagen, Ackerbau und Holz zerstört, die dortigen Schimpansenpopulationen marginalisiert. Haiti und Madagaskar sind blankgerodet.
Die industriellen Möglichkeiten des Kapitalismus, seine Organisations-fähigkeit und sein Akkumulationsdruck setzen Maschinerien in Gang, die gerade an seinen nichtindustrialisierten Rändern nur einer inkompetenten oder korrupten Regierung bedürfen, um die Evolutionsgeschichte auf einen Schlag um Legionen von Arten zu berauben. Der Populationsdruck tut ein Übriges: Buschfeuer zerfressen die tropischen Wälder, machen Land für Subsistenz urbar. So weicht der lästige Wald auch dort, wo die Sägen zur Holzverwertung fehlen. Der Prozess der Entwaldung, den Europa im 19. Jahrhundert erlebte, ist angesichts der tropischen Bodenverwitterung und der verlorenen Artenvielfalt ungleich desaströser und irreversibel.
Philosophie, die diesem Aktualitätsdruck nicht Rechnung trägt, kann nur als versäumte stattfinden. Auffällig an der jüngeren Wiederaufnahme von Positionen der Kritischen Theorie zur Ökologie3 ist der Drang zum klinisch sterilen Abstraktum »Natur«. Die bloße Erwähnung konkreter ökologischer Probleme riecht nach Essentialismus, nach Romantik, nach Kitsch. Die Frustration über das Ökologieproblem, die Frage nach dem »einzelnen Wesen«, dem beizustehen wäre, beantwortet Gerhard Scheit mit einer Praxisfeindschaft, die kritischer Theorie abhold war: Mit Amery kritisiert er Marcuse für dessen sozialdemokratischen Versuch, im »Rahmen« kapitalistischer Vergesellschaftung schon »den Umweltschutz« vorzubereiten. »Die ökologischen Vorstöße indessen sind nur Vorstöße gegen den Restbestand politischer Vernunft.«4
»Der« Umweltschutz gerät bei Scheit unter den gleichen Identitätszwang wie sonst nur die Natur. Das unter »Natur« gefasste sind aber konkrete Arten in Gesellschaft und sie werden täglich zu Opfern der Geschichte. Was nicht in kapitalistischen »Rahmenverhältnissen« bewahrt wird,
geht verloren.
Kritische Theorie sperrt sich gerade wegen der Radikalität ihrer Analyse gegen den Maximalismus jener Revolutionäre, die den gequälten und vernichteten Kreaturen eine posthume, aber dafür radikale Aufhebung aller Nebenwidersprüche versprechen.
Im mythologischen Neoliberalismus findet sich derzeit der ganz ähnliche Verweis auf einen heiligen Gral, einer unerschöpflichen Bestandsgarantie des Kapitals bei Erhaltung der Quellen der Wertschöpfung. Messianistisch wird die baldige Nutzung der Kernfusion angekündigt, als hätte irgendeine andere Technologie je den Gesamtenergieverbrauch gemildert.
Die stalinistische Version ist bloße Kopie der bürgerlichen Ideologie: Dass Technik und ewiger Fortschritt sämtliche Probleme von Energiegewinnung bis Überfischung lösen werde und letztlich die Menschheit durch die Industrialisierung hindurch sich zur Freiheit bewege. Damit einher geht der zynische Wunsch, die ursprüngliche Akkumulation solle rückständige Kaziken aus dem Wald und Kulaken vom Acker holen, um in ständiger Wiederholung doppelt freie Lohnarbeiter hervorbringen, die das solidarische Subjekt marxistischer Revolutionen bilden. Gegen solchen sportifizierten Marxismus wird Kritische Theorie maoistisch: Sie will bereits die Bauern, die Reservearmeen, die Indigenen im Wald, das platte Land »entbarbarisieren«, was eben Aufklärung bedeutet und nicht, wie in China, Menschen mit Gewalt in die Urbanität zu treiben. Gegen solche zerstörende Entzauberung wie auch gegen die ostentative Naturfeindschaft modernistischer Marxisten, für die Natur nur leere Projektionsfolie ist, hatte die Romantik mit ihrer Suche nach einem meist sehr dunklen Geheimnis in der Natur allemal recht.
Die Marx’sche Geschichtsphilosophie verwahrt sich gegen technokratische Teleologien. Von ökologischen oder politischen Krisen zu doppelt freien Lohnarbeitern gezwungene Menschen saugen heute keine Industrien mehr auf. Sie enden im Mittelmeer oder in der libyschen Wüste. Mit Umweltvernutzung verbundene genozidale Dystopien sind realistischer als sich je verwirklichende Philosophie über das Mensch-Natur-Problem.
Die Ökologiebewegung und die Dringlichkeit ihres Gegenstandes, die kompromißförmige, vulgo »sozialdemokratische« Praxis erzwingt, zu differenzieren, heißt auch konkret zu werden. Entwaldung etwa ist mit Satelliten messbar, die Folgen sind seit der Antike bekannt, die Gegenmaßnahmen simpel: Man trennt Ackerbau, Viehzucht, Försterei und Naturreservate räumlich und stellt ein Gewaltmonopol her, das Raubbau verhindert. In einfachen Kausalketten führt die Aufforstung von Mangrovenwäldern zu Fischreichtum und stabilisierten Küsten, Bergwälder bremsen warme Aufwinde und erhalten Gletscher, degradierter tropischer Laterit-Boden lässt sich mit Forsten vor weiterer Verwitterung und Erosion sichern. Solche Maßnahmen werden nur dort vollzogen, wo Menschen die Kausalketten verstehen. Wenn das Kapitalverhältnis für den ewigen Hunger nach Wald verantwortlich ist, so setzt es doch genügend Arbeitskraft frei, dass auch die Wiederaufforstung stattfinden könnte, wo ihre Notwendigkeit begriffen ist. Ist die differenzierte Wertschätzung für Natur zur Kultur sedimentiert kann auch im Kapitalismus aus Wüste Wald werden. Das beste Beispiel dafür ist Israel.
Im Allgemeinen aber suggeriert der rituelle Aktivismus von interstaatlichen Abkommen Aktionsfähigkeit, die sich schon an den einfachsten Aufgaben blamiert. Der von Scheit kritisierte Weltsouverän, auf den nicht so sehr die Ökologie, sondern die bürgerliche Gesellschaft sich getrost verlässt, versagte zuletzt am nördlichen weißen Nashorn, das von Wilderern binnen Wochen auf drei Exemplare reduziert wurde.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Debatte um die Klimaveränderung wie eine neurotische Ersatzhandlung. Dass ein Klimawandel mit ungewissem Verlauf (Eiszeit oder Warmzeit) Ökosysteme bedroht ist evident. Zu beschreiben, warum diese Ökosysteme aus ganz anderen Ursachen heraus schneller verschwinden als das Klima sich je wandelt, das bedürfte intellektueller Anstrengungen, die man mit der reduktionistischen Formel »Klima« umgeht. Wenn Elche in Kanada sterben, wenn Fledermäuse vom Himmel fallen, sieht beispielsweise Naomi Klein sofort den Klimawandel am Werk.5 Letztlich ist immer der Mensch das Opfer, nicht die aussterbende Art. In der stets anthropozentrischen Sorge ums Klima geht das erotische, intime Verhältnis zu Natur vollends verloren. Im Verweis auf den eigenen Schaden durch das globale Verhängnis wird die narzisstische Abdichtung gegen das Andere perfektioniert. Vor die Erinnerung an das Schöne im Regenwald drängeln sich nun Kategorien der Warenförmigkeit. Spezies und Spezifik verschwinden. In dieser Austauschbarkeit werden dann auch konsequent FÜR das Klima Menschenaffen geopfert.
Am Ende wird mit aufs Klima reduzierter Natur einzig noch eine Drohung assoziiert, ihre Zerstörung tabuiert allein aus Angst vor ihrer Rache, dem Klimawandel. Leicht richtet sich die so erzeugte Aggression gegen Natur selbst. Die Katastrophenangst sorgt für Ladenschlusspanik und forcierte Naturzerstörung. Mancher deutsche Bauer vernichtet Biotope vorsorglich, um die Gängelung durch das Artenschutzgesetz zu unterwandern. Schwund des naturkundlichen Wissens führt dazu, dass dennoch die für Biosprit entstehenden sterilen Rapsfelder als schön, die überdüngten Wiesen als Natur gelten. Der inhaltsleeren Vernichtung des Formenreichtums unterm Diktat des expansionistischen Kapitals folgt die inhaltsleere Bewahrung im Namen des Klimawandels, die in Vernichtung im Namen des »green investment« umschlägt, weil zwischen Regenwald und Eukalyptusplantage kein Unterschied mehr erkannt wird.
Die ökonomische, die ökologische und die ästhetische Krise gehen wechselseitig auseinander hervor. Die Lust am Erleben des Anderen, am Differenzieren, stirbt allemal ab. Von solcher Wechselwirkung will man dort nichts wissen, wo man aus rationalen, der wissenschaftlichen Ökologie noch entnommenen Argumenten gegen Jutetaschen, Biosprit und für Müllverbrennungsanlagen im Trikont die Rechtfertigung zur Häme über jene engagierten Umweltschützer zieht, denen man letztlich den seltenen Fall eines wirksamen Weltsouveräns und das Überleben der meisten Walarten verdankt.