(Un)real Real Estate

In Linz soll es bald das erste autonom-solidarische Wohnhaus nach deutschem Syndikatsmodell geben. Über das Mietshäuser-Syndikat, den Verein HabiTAT und die Hausprojektgruppe Willy-Fred schreibt Tanja Brandmayr.

Noch vor relativ kurzer Zeit, vor etwa eineinhalb Jahren, hat sich in Linz ein Grüppchen von Leuten formiert, das zum Zwecke eines Hauskaufes einen Verein gründete. Und es hat wohl niemand damit gerechnet, dass sich der Verein HabiTAT so schnell konsolidieren – und die aus dem Verein erwachsene Hausprojektsgruppe Williy-Fred ein passendes Wohnobjekt so zügig finden würde: Aktuell wurde ein Kaufoptionsvertrag für das Haus Graben 3 unterschrieben, um dort gemeinschaftlich-autonom orientierte Lebenskultur nach deutschen Syndikatsmodell nach Linz zu bringen; und damit eine Lebens- und EigentümerInnenstruktur, die abseits von BauherrInnen-Gruppen, individuellen Kostenersparnis-Zusammenschlüssen und großgenossenschaftlicher »Einbindung« agiert.

Was ist aber das Vorbild des deutschen Mietshäusersyndikats? Es gibt in Deutschland derzeit etwa 90 bestehende Hausprojekte, die sich als Syndikatsmodell zusammenfassen lassen. Jedes Hausprojekt hat dabei seinen jeweiligen ideellen Background oder eigenen Bedarf definiert. Als Gegenposition zum kleinteiligen Besitzerwerb stellt das Konzept des »Mietshäusersyndikats« die ursprüngliche Idee der Genossenschaften ins Zentrum, vor allem jenen Genossenschafts-Typus, der, mit dem Ökonomen Klaus Novy gesprochen, »eine nicht-kapitalistische Lebensform anstrebt«, also eine auf Gemeingut ausgerichtete Konzeption darstellt. Interessanterweise ist dieses Modell von Anfang an nicht an das Vorhandensein von individueller Investition durch die Hauskäufer gebunden, und ist auch in Folge nicht auf Kapitalertrag ausgerichtet. Stellen die meisten der derzeit boomenden Konzepte von gemeinschaftlich orientierten Wohnformen in verschiedenen Aspekten zwar Varianten zwischen Staat und Markt vor, ist das Mietshäusersyndikat diesbezüglich wahrscheinlich die konsequenteste Alternative. Und als kurzer Einwurf angemerkt: Oft scheint die wesentliche Frage nach Besitzverhältnissen und organisatorisch-rechtlichen Strukturen hinter der Ästhetik der gemeinschaftlich hochgezogenen Wohnarchitektur etwas zurückzutreten. Baugruppen und selbstorganisierte Wohngruppen stehen zudem noch immer vor dem immensen Problem der Finanzierung – hier geht es allzu schnell um die soziale Frage schlechthin. Ein Problem, das das Mietshäusersyndikat in recht lösungsorientierter Weise aufnimmt.

Generell ist das Mietshäusersyndikat eine hauptsächlich in Deutschland agierende vermischte Dachorganisation aus Verein und GesmbH, das den jeweiligen Wohngruppen, bzw. Hausprojekts-Interessenten anbietet, durch eine ebensolche vermischte Konstruktion aus Verein und GesmbH mit der Dachorganisation zu kooperieren. Ziel ist der Erwerb von Wohnhäusern. Organisatorisch-rechtlich handelt es sich auf beiden Seiten, Syndikats-Dachorganisation und jeweiliges Hausprojekt, um ein verschränktes System aus Verein und Hausbesitz-GesmbH. Die Komponenten sind dabei derartig ineinander verschränkt, dass das erworbene Haus nicht mehr verkauft werden kann – und nach dem Kauf im System des Mietshäusersyndikats günstiges Mietshaus bleibt. Übergeordnetes Ziel ist damit auch, das Wohnobjekt dem Markt und seinen Gentrifizierungs-Prozessen zu entziehen und somit langfristig günstige Mieten zu gewährleisten. Finanziert werden die Häuser durch Investitionen des Mietshaussyndikats, sowie durch Stiftungen, Direktkredite oder andere günstige Kredite für die jeweilige Hausprojektgruppe. Wenn das Haus durch die Mietzahlungen seiner BewohnerInnen abbezahlt ist, geht die Miete in Folge an das Syndikat: Dieses investiert dann in weitere Hausprojekte. In diesem Sinn bildet das Mietshäusersyndikat einen direkten Anknüpfungspunkt zu gemeinschaftlich organisierten Wohnformen, sowie zur ursprünglichen Genossenschaftsidee. Um diese Feststellung zu untermauern, kann festgestellt werden, dass das Mietshäusersyndikat 2012 den Klaus-Novy-Preis verliehen bekam. Ein Preis, der nach seinem Namensgeber Projekte auszeichnet, die die Idee des alten Genossenschaftskreislaufs aufnehmen.

Wesentlich für eine Kooperation mit dem Mietshäusersyndikat ist eine programmatische Ausrichtung auf nicht-kommerzielle Zwecke des Wohnens. »Darüberhinaus gibt es ein ideelles Konzept«, so Elisabeth Ertl und Florian Humer, zwei VertreterInnen des Linzer Vereins HabiTAT, das sich mit den Worten »selbstverwaltete und solidarische Wohn- und Lebensformen« zusammenfassen lässt. Dabei geht gehe es in Theorie und Praxis um ein »alternativ-kritisches Lebenskonzept, ein Versorgungs-Konzept, das konventionelle Strukturen sprengen kann, unabhängiger von Kapital ist, ökologisch, solidarisch, integrativ, nicht-hierarchisch, transparent, sich durch einen erweiterten Gestaltungsspielraum auszeichnet, durch gemeinsame Strukturen und gemeinsame Interessensformulierungen«. Bei derartigen Initiativen, die zwar auch Beratungen und Versammlungen anbieten, im Wesentlichen aber auf gleichberechtigte Beteiligung und Kooperation der GruppenteilnehmerInnen basieren, ist eine funktionierende soziale und organisatorische Struktur grundlegend. Denn das genossenschaftliche Grundprinzip bedeutet nämlich im ursprünglichen Sinn: »Genossenschaftliche Personen sind in der Regel Inhaber, gemeinschaftlicher Unternehmer des Betriebs und zugleich Benützer und Kunden ihres Unternehmens.« … daraus folgt: »Andererseits heißt genossenschaftliche Organisation nicht, dass der vorher herrschende Konflikt zwischen Mieter und Vermieter überhaupt aufgehoben ist. Im Gegenteil: er ist nunmehr innerhalb der Genossenschaft eingeschlossen.«1 Der Erfolg des Hausprojektes steht und fällt damit mit der Gruppe, die ihr soziales und kulturelles Kapital einzubringen versteht – Herausforderung ist dabei gerade die Selbstermächtigung, die einschließt, so Ertl und Humer, »sich alle Fähigkeiten, von rechtlichen bis zu bautechnischen Kompetenzen zu erwerben – also das komplette Wissen und auch den Kommunikationsaufwand«. An anderer Stelle zu gemeinschaftlich orientierten Wohnformen angemerkt: »Es zu wollen ist Voraussetzung, aber bei weitem nicht ausreichend«.

Dass der Aufwand für solche Initiativen groß ist, aber auch in einem übergeordneten Sinn der Stadtentwicklung lohnen könnte, darüber gibt eine Initiative eines »Mietshauses« in Frankfurt Auskunft, das letztes Jahr mit dem Freiburger Mietshäusersyndikat gemeinsam finanziert werden sollte: Das ehemalige Philosophicum, ein achtstöckiges Gebäude mitten in der Innenstadt einer der teuersten Städte Deutschlands sollte in eine Mischnutzung aus Wohngemeinschaften, betreutem Wohnen und Einzelapartments überführt werden. Außerdem eingeplant waren »Gemeinschaftsräume, Ateliers, Kinderbetreuung, Stadtteilbüro und allerlei andere Dingen, die allmählich aus der Frankfurter Innenstadt verschwinden«2. Nicht zuletzt auch wegen der innerstädtisch bereits problematischen Gentrifizierungsprozesse in Richtung Segregation und städteplanerischer Monokultur schien das Großvorhaben der Initiative »Projektgruppe Philosophicum« zwischenzeitlich gute Chancen gehabt zu haben, den Zuschlag von der städtischen Wohnungsbaugesellschaft zu erhalten – es befand sich bereits in der Phase, nach der Gründung einer GesmbH, Direktkredite in Empfang nehmen zu können. Dass die Umsetzung sowohl von Kostenseite als auch in Richtung »solidarischer Stadtteil« weitere politische Arbeit erfordert hätte, blieb trotzdem Fakt – entsprechend der Kostenlogik wurde am Ende Großinvestoren Vorrang gegeben.

Potentiale, die nun der Verein HabiTAT für Linz aufnehmen möchte. Neben der tatsächlich beeindruckenden Geschwindigkeit im Suchen und Finden des Objekts Graben 3 als Hausprojekt »Willy-Fred« zieht der Verein nun das rechtlich-organisatorische Konstrukt für ganz Österreich hoch: Was in Deutschland der Dachverband des Mietshäuser-Syndikats ist, will in Zukunft in Österreich der Verein HabiTAT sein. Stand der Dinge: »Die Statuten des Hausverbands und der Dachverband stehen bereits. Was noch fehlt ist ein wasserdichter GmbH-Vertrag und so einiges an Beratungs- und Arbeitsstunden bei Rechtsanwälten und Steuerberatung. Herauskommen wird letztenendes ein Paket an Musterverträgen und Vorgehensweisen für neue Hausprojekte« – so die Message auf dem Kurzvideo der Crowdfunding-Kampagne: Durch die Kampagne soll nicht der Hauskauf selbst (!) finanziert werden, sondern »ein rechtlich abgesichertes Musterpaket, welches allen Menschen in Österreich ein Leben in Selbstbestimmung – verknüpft mit solidarischer Ökonomie – möglich macht«. Also mal reinschauen ins Internet, los geht’s ab Beiträgen von 5 Euro! Im Hausprojekt Willy-Fred sollen übrigens auch Kulturinitiativen willkommen sein – auch die KUPF war mal im Gespräch einzuziehen. Im Inbetween von Utopie und sozialer Realität geht es jedenfalls auch heute darum, Strategien der Selbstermächtigung, der Re-Solidarisierung und des Widerstands wiederzuentdecken. Neben der für viele Menschen katastrophal teuren Entwicklung am Wohnungsmarkt kann Aneignung durch solidarische Gestaltung auch als Kontrapunkt zu einem Gefühl der Entfremdung gelesen werden. Der Hausprojektname Willy-Fred bezieht sich übrigens auf die NS-Widerstandsgruppe im Salzkammergut.

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[1] Zitiert nach Schachtabel, in: Meinrad Ziegler, »Die Anfänge der Linzer Baugenossenschaften bis 1934«, Wien VWGÖ, Dissertation, 1987, S. 31
[2] Artikel von Eva Berendsen in der Jungle World vom 8. Mai 2014: Ein anderer Grundriss ist möglich

Das Objekt Graben 3. Parallel zum Hauskauf startet eine Crowdfunding-Kampagne
für ein Musterverträge-Paket. (Bild: Tanja Brandmayr)