Schlechte Laune trotz alledem

Ein fragmentarischer Überblick über Hannes Waders Werk zu dessen 80. Geburtstag. Von Paul Schuberth.

Hannes Wader ist eine der wenigen öffentlichen Figuren der Bundesrepublik, die sich einmal zum Kommunismus bekannten – und im Laufe der Jahre nicht rechts außen, sondern nur bei schlechter Laune gelandet sind. Ein anderes Bild zeichnet der Grazer Autor und Komponist Clemens Nachtmann, wenn er Wader einen »deutschen Heimatsänger« nennt. Was ist am Vorwurf dran? 

Bei Wader tut sich immer und überall ein doppelter Boden auf. Findet man keinen, kann man sich sicher sein, es mit einem Abgrund zu tun zu haben. Oft lässt der Liedermacher Text und Musik regelrecht aufeinander prallen. Etwa, wenn er, der Intuition zuwider, eine Melodie »künstlich« verlängert – und so die Lyrics eine neue Bedeutung gewinnen, da Wörter betont werden, die bei der Textinterpretation ansonsten untergegangen wären. Oder wenn Musik und Text generell derart gegeneinander zu arbeiten scheinen, dass man sich zuerst einmal Augen und Ohren reiben muss, um diese Reibung als eine bewusste zu begreifen. Im Lied »Vaters Land« zum Beispiel trägt der populäre Heimatsänger Hannes Wader folgende Verse über einen gemütlichen Samba in Dur vor: »Vaterland, Vaterland, bist mir gänzlich unbekannt // Wenn Vater Land besessen hätte // Neben seiner letzten Ruhestätte // Wüsste ich etwas davon // Wüsste ich etwas davon // Seid bereit, seid bereit // Bald ist es wieder so weit // Für die das Vaterland zu schützen // deren Väter Land besitzen // und noch manches andere mehr.« 

 

Hannes Wader bei einem Auftritt 2010 (Bild: Richard Huber (CC BY-SA 3.0))

 

Erst bei einem der nächsten Textzeilen kann man die Bedeutung der fröhlichen Gitarrenbegleitung erahnen: »Ich bin hier // Ich bin hier // Zuhause, hier gefällt es mir // Möchte bloß an manchen Tagen // Wenn Deutsche Ausländer erschlagen // Kein Fremder und kein Deutscher sein.« Kein Deutscher sein: Dafür, sich zur unrealistischen Ausflucht und nicht zum Antifaschismus zu entscheiden, gibt es viele Anlässe. Ein gelungenes gesellschaftskritisches Lied, das einem eine bessere Realität vorgaukelt, könnte einer davon sein. In dieser abwegigen Hinsicht will die Schunkelmusik das Lied zur Sicherheit in die Bedeutungslosigkeit ziehen, denn es soll nicht mehr sein, als es sein kann. Ein Lied, das sagt: Singt und spielt mich erst gar nicht, verschwendet eure Zeit nicht mit mir. Hätte Wader den Text mit größter musikalischer Finesse auskomponiert, inklusive einer beeindruckenden Dramaturgie, wäre das Ergebnis ein Fall für genaue Werkanalyse und damit fürs Museum. Hätte er die Musik so belassen, den Text aber auch nur ein klein wenig entschärft, würden tatsächlich alle mitsingen und -schunkeln wollen. So aber kann und will niemand etwas mit dem Lied anfangen. Genial. Weiter im Text: »Möchten schon // Möchten schon // Gerne wieder als Nation // Wie die Franzosen und die Briten // Als Deutsche und Antisemiten // Frei und unbefangen sein.« Ein seltsamer Volkssänger muss das sein, der die Frei- und Unbefangenheit nicht als positive Begriffe, sondern als Furchterregendes besingt. Wer weiß schon, ob die Freiheit, wie sie sich die durch unfreie Gesellschaft und Ideen geprägten Menschen ausmalen, nicht ins noch größere Unglück führen würde?

Hannes Wader traut also den Menschen, von denen er singt, nicht über den Weg. Diesen Weg, auf dem gestolpert, angetreten und oft genug marschiert wird, geben die kapitalistischen Verhältnisse vor. Doch erklären sie vollkommen die Verkommenheit der Leute? Im Lied »Die Arschkriecherballade« erklärt Wader auf fast irrwitzig virtuose Weise, wie die Menschen zum Opportunismus getrieben werden. Die gemeine Schlusspointe bringt das feste Bild vom ausgelieferten Menschen als Treibholz aber gehörig ins Wanken: »,Wenn sie schon nicht hübscher werden, warum kriechen sie denn bloß?‘ // ‚Schwer zu sagen‘, sprach der Mann, ‚manch einer kriecht ja auch nicht gern // Und er meint, er muss es tun, um die Familie zu ernähr‘n //Dem Andern macht es Spass, er schafft sich Frau und Kinder an // Als Vorwand, nur damit er besser arschkriechen kann!‘« Wenn schonungslos beschrieben wird, wie sich die ums letzte Hemd Streitenden verhalten, soll es den Verhältnissen umso mehr an den Kragen gehen. Denn es wird enthüllt: Sie begünstigen nicht nur ein gewisses Verhalten der Menschen, sondern machen es ihnen zum eigenen Bedürfnis. Draufgängerisch aber lässt Wader den Verhältnissen keine Chance, wenn er Verliebtheit und Liebe logisch zu Klassenbewusstsein führen lässt: »Ich sah eine Frau, eine Frau, die ich kannte // Vor Jahren, als sie noch ein Mädchen war // Wir lernten beide, weil man irgendwas lernt // Wir lernten, wie man seine Arbeit hasst.« Im anderen Fall, im Lied »Das Loch unterm Dach«, einem der frühesten aus den Sechzigerjahren, ist die Verliebtheit der Garant dafür, die Armut auszuhalten: »Ich friste in einem Loch unterm Dach // Als armer Hund mein Dasein // Hab‘ wenig zu essen, drum lieg‘ ich oft wach // Und hung‘re bei Wasser mit Wein // Und starrt die nackte Wand mich auch an – // Was macht das schon, jetzt hängt ja daran // Ein Bild von ihr – // Sie schenkte es mir!« Romantisierung der Armut, könnte man einwenden. Aber nein. Das Liebesgeplänkel ist nur ein Vorwand, Armut anschaulich zu beschreiben. Man freut sich schließlich nicht wirklich mit dem armen Hund, sondern wünscht ihm, die Angebetete würde ihm auch dann ein Bild von ihr schenken, wenn er sein Wasser nicht mit Wein strecken müsste und mehr als ein Dach überm Loch hätte.

Langweilig und unpoetisch Hannes Waders Verdienste aufzuzählen, hat sich der Künstler nicht verdient. Sein größtes Manko jedenfalls ist zugleich sein sympathischster Zug: Der eigenen Kunst und dem eigenen Publikum skeptisch gegenüber zu stehen. »Warum finden die das gut?« Und wie musste es ihn erst schockieren, zu erfahren – in seiner Autobiographie schreibt er auf zwei Seiten darüber –, dass auch manche Neonazis seine Lieder sehr hoch schätzen und sogar dafür geeignet halten, sie für die eigenen Zwecke zu gebrauchen! Es macht Hannes Wader als vorsichtigen Künstler aus, zunächst eben nicht von »Missbrauch« zu sprechen. Er fragt sich: Was habe ich falsch gemacht? War ich zu wenig eindeutig? Auch der Verfasser dieser Zeilen will nicht klüger als der Künstler sein und fragt: Was habe ich übersehen? Andererseits: Wenn Neonazis bei ihren Aufmärschen wirklich »Vaterland, Vaterland, bist mir gänzlich unbekannt« singen, ist ihnen auch nicht mehr zu helfen.