In den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts ging eine der ersten massentauglichen Reiseschreibmaschinen vom Band einer backsteinroten Manufaktur im Norden Italiens. Knapp ein halbes Jahrhundert zuvor hatte Camillo Olivetti, Konstrukteur und Sozialist, dafür den Grundstein gelegt. 1909 begann er im Hügelland von Ivrea mit ersten Konstruktions-zeichnungen für eine Schreibmaschine, als Olivetti M 1 wurde sie drei Jahre später auf der Turiner Industrieausstellung präsentiert. Sohn Adriano, der das Unternehmen 1933 übernahm, interessierte sich anfangs mehr für die Idee der sozialen Gerechtigkeit als für die väterlichen Apparate; inmitten der Nachkriegsdepression verdoppelte er die Anzahl der Beschäftigten, schulte die meist ungelernten Arbeiter_innen und ökonomisierte alle Abläufe in der Fabrik. Unter ergonomisch optimierten Bedingungen gab er den Auftrag zur Produktion einer Schreibmaschine, die von Beginn an mehr sein sollte als ein Schmuckstück für den bürgerlichen Salon. Die Lettera 22 ist funktional im Design und robust im Anschlag; mit einem Gesamtgewicht von knapp viereinviertel Kilogramm sollte sie selbst die filigranste Flugmaschine nicht in Turbulenzen bringen: In einem Olivetti-Plakat aus den 1950ern heftet die Reiseschreibmaschine im türkisen, pistaziengrünen oder anthrazitfarben Stahlmantel sich an die zarten Streben eines Papierdrachens.
»Dies ist eine tragbare Maschine, die ein Minimum an Abmessungen, Gewicht und Preis mit maximaler Leistung kombiniert«, heißt es in einer Olivetti-Ankündigung der Lettera 22, »einfach, leicht und leise« – für schreibende Apparate dieser Zeit keine Selbstverständlichkeit. Maschinenschrift entstand als Aneinanderreihung von mechanischen Zeichen und die Typenhebel wogen schwer; geräuscharm zu tippen galt als tugendhaft – und als Prophylaktikum gegen ein Rattern im Kopf, das noch nach Dienstschluss anhielt. Mit dem Slogan »silent as the purr of a kitten« wurde etwa der amerikanische Remington-Typewriter beworben, seine norditalienische Verwandte führte ein ähnliches Versprechen mit sich: »La tastiera dolcissima« – vor dem orange-violetten Hintergrund des piemontesischen Hügellandes schreibt es sich mit sanften Pfoten. In einem der Olivetti-Plakate aus den Sechzigern beginnt eine Sekretärin blind zu tippen. Währenddessen fängt sie an, mit ihren kobaltblauen Augendeckeln zu klimpern. So jedenfalls will es das Geschlechterklischee – ohne Schminke ist es nicht zu haben.
In Matthew G. Kirschenbaums Annäherung an die Geschichte mechanischer und elektronischer Schreibgehilfen des 20. Jahrhunderts kommt die Lettera 22 mehrfach vor. Es ist jene Schreibmaschine, auf der Pier Paolo Pasolini zu tippen pflegte und auch ihre Nachfolgerinnen waren unter Autor_innen besonders beliebt. Der amerikanische Fiction-Autor Cormac McCarthy erstand seine erste Olivetti in den Sechzigern gegen 50 Dollar im Pfandhaus von Knoxville, Jacques Derrida erwarb zur Mitte der Achtziger eines ihrer elektronischen Nachfolgemodelle und bezeichnete es fortan als »petit Mac«. Bei Derridas Olivetti ist die Hebelwirkung des Fingers bereits durch einen elektronischen Impuls ersetzt, die Zeichen persistieren im Speicher und der Text erscheint am Display. Schreiben ist fortan keine Angelegenheit von Musenheeren mehr, im Hardware-Hintergrund arbeitet eine Schaltkreis-Armee; demgemäß sind Matthew M. Kirschenbaums Interventionen auch technomaterialistisch: Wenn es schreibt, dann ist dies kein Resultat von Spontan-Eingebungen; die Eingaben beschränken sich auf Tastatur-Inputs, abgelegt im Cache des Textverarbeitungsprogramms der Wahl. Nach anfänglichem Zögern ließ auch Derrida sich immer mehr von dessen Regeln leiten – er entschied sich dazu, die Einschränkungen zu akzeptieren, die sein »Word Processor« ihm bezüglich der Absatzlängen auferlegte.
»WordPerfect« – Anfang der Achtziger war der Name dieser DOS-Implementation noch zu lang, um abgespeichert zu werden. Die Sozialgeschichte des Schreibens hat sie dennoch verändert: Von Bedeutung sind Wörter seither auch als Datentypen, ihre Ansammlungen ausführbare Programme. Was aus Maschinensicht zählt, sind Informationsgehalt und Auftrittswahrscheinlichkeit der Zeichen, ihr semantischer Sinn ist sekundär. »The quick brown fox jumps over the lazy dog« – mit diesem Pangramm überprüft man nicht nur die alphabetische Vollständigkeit eines Zeichensatzes, im Internet taucht er auch als vorübergehendes Füllmaterial für leere Templates auf. Der generische Vorläufer des Blanko-Textes verursachte Kirschenbaum zufolge den wohl bekanntesten »writer’s block« der Filmgeschichte: »All work and no play makes Jack a dull boy« – in Deutsch: »Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen«. Im verschneiten Berghotel der Rocky Mountains mutiert Jack Torrance alias Jack Nicholson zur totalen Tippmaschine. Es ist stets derselbe Satz, der aus seinem Typewriter quillt – typografisch variiert und in Endlosschleife.
Was im Englischen wie eine Forderung nach mehr Spiel klingt, hört sich in der deutschen Übersetzung an wie ein Zuviel an protestantischem Arbeitsethos; aufgeschoben wird in beiden Fällen – und dabei nicht weniger zitiert. Jene Szene in »The Shining«, in der Shelley Duvall die seltsame Seitenproduktion ihres Mannes entdeckt, ist Kirschenbaum zufolge auch ein Kommentar zur Schreibpraxis eines ganz anderen Jack. Mit dem Satz »Es ist kein Schreiben. Es ist nur Tippen« würdigte Truman Capote die Hervorbringungen seines literarischen Konkurrenten Jack Kerouac; heute erzielte man wohl denselben Effekt, wenn man die Romane des Gegners mit den Endergebnissen der KI vergleichen würde: »The quick brown fox jumps over the lazy dog« – der immergleiche Text kommt in »The Shining« aus einer Adler Schreibmaschine; am Computer ließe er sich iterativ abrufen.
Was bleibt von einer Geschichte des Schreibens und der Schrift, die mit dem Aufkommen erster Textverarbeitungsprogramme das Laufen lernte? Und wie geht es weiter mit den Menschen und Maschinen, die sie schrieben? In Kirschenbaums Kompilation sind ihre Akteur_innen keineswegs nur weiß und männlich, den technischen Möglichkeiten zur textverarbeitenden Teilautomatik waren neben den Science-Fiction-Größen Arthur C. Clarke und Isaac Asimov jene am wenigsten abgeneigt, die aus einer politischen Dringlichkeit heraus schrieben. »Sind die Schwulen nicht gezwungen die Propagandaartikel gegen sich selbst zu verfassen, selbst zu setzen, selbst zu lektorieren? Geht nicht eine ganze Welt kaputt, weil ein paar Journalisten aus Penetrationsängsten keinen mehr hochkriegen? Soll nicht Sappho sterilisiert werden?«, fragte Hubert Fichte sich im 1982 begonnen Register zum Roman »Hamburg Hauptbahnhof«; die feministische Dichterin Judy Grahm, die zeitgleich in Kalifornien an »Gay Words, Gay Worlds« arbeitete, hatte auf die offenen Fragen aus Deutschland eine technische Antwort. Die Exxon-Textverarbei-tung, die auf ihrem mit Zilog-Mikroprozessor ausgestatteten Computer lief, hatte ihr beim Versuch, sämtliche Ideen über Bestrafung und Vergeltung am Höhepunkt der AIDS-Krise zu entkräften, mindestens ein Jahr an Schreibzeit erspart. Der Einsatz elektronischer Word Processors wirkte auch anderweitig transgressiv: Infolge früher Notwendigkeiten wurden viele Autor_innen zu Tüftler_innen und so mancher tinker zum writer. Die Romanautorin Amy Tan, die sich mit ihrem daily job als Medizinjournalistin nicht zufriedengeben wollte, gründete 1981 in San Francisco eine der ersten User Groups; »Bad Sector« war nicht nur der Name einer Selbsthilfegruppe für Besitzer_innen eines Tandy TRS-80, sondern auch der ihres eigenen Geräts. Der RadioShack-Heimcomputer konnte es dazumal mit dem Apple II und dem Commodore PET 2001 aufnehmen; warum er vom Markt verschwand und heute kaum mehr jemandem in Erinnerung ist, erfahren die Leser_innen von »Track Changes: A Literary History of Word Processing« nicht. Egal, ob vor oder hinter dem WORD: auch über die Arbeit einfacher Schreibkräfte erfährt man bei Kirschenbaum nahezu nichts; was gemeinhin »die Produzent_innen« und »die Produktionsverhältnisse« genannt wird, bleibt auf dieser Tour de Force im Hinterland von Ivrea zurück.
Matthew G. Kirschenbaum (2016): Track Changes. A Literary History of Word Processing, Harvard University Press