Von Rohani zu Raisi

Stephan Grigat über die Kontinuität des Antisemitismus im Iran.

Ebrahim Raisi, der seit Anfang August als Präsident des Regimes in Teheran fungiert, steht einerseits für ideologische Kontinuität, was die inhaltlichen Zielsetzungen der »Islamischen Republik« angeht, und andererseits für eine Radikalisierung der Herrschaftsausübung im Iran. Seine »Wahl« glich eher einer Bestellung durch den obersten geistlichen Führer Ali Khamenei, der im Vorfeld des Urnengangs dafür gesorgt hatte, dass alle aussichtsreichen Gegenkandidaten nicht zugelassen wurden – einschließlich altgedienter Funktionäre des Regimes wie beispielsweise den langjährigen Parlamentspräsidenten Ali Laridjani. Die iranische Bevölkerung quittierte das mit der niedrigsten Wahlbeteiligung seit der Islamischen Revolution von 1979. Selbst offizielle Stellen des Regimes räumten ein, dass die Beteiligung erstmals unter 50 Prozent gesunken ist. Oppositionelle Beobachter schätzen sie auf nur 10 bis 20 Prozent, womit der Wahlzirkus endgültig als jene Legitimierungsfarce erkennbar wurde, die sie auf Grund der Herrschaftsstruktur des iranischen Regimes mit der zentralen Rolle des obersten Führers und des Wächterrates ohnehin schon immer war.

Raisi, der durch die offene Unterstützung von Khamenei nun einer der aussichtsreichsten Kandidaten für dessen Nachfolge ist, hat sich den Titel »Schlächter von Teheran« auf Grund seiner seit Jahrzehnten etablierten Stellung im iranischen Repressionsapparat und seiner Verantwortung für die Ermordung tausender Oppositioneller redlich verdient. Seine »Wahl« im Juni signalisierte der Bevölkerung, dass die Ajatollahs in Zukunft noch stärker auf unmittelbare Gewalt zur Herrschaftssicherung setzen werden, während die Versuche zur Erlangung einer partiellen, zumindest von Teilen der Bevölkerung akzeptierten Legitimität in den Hintergrund treten.

Das iranische Regime ist seit Anbeginn von einem permanenten Konkurrenzkampf verfeindeter Gangs charakterisiert, die aber nicht einfach wie Verbrechersyndikate um das größere Stück vom Kuchen konkurrieren, sondern stets auch darum, wer das Programm des eliminatorischen Antizionismus am effektivsten voranbringen kann. In der ursprünglichen und lange Jahre gültigen Konzeption der »Islamischen Republik« thront über ihnen allen der oberste geistliche Führer, der als vermittelnde und integrierende Instanz agiert. Der »Fürst der Gläubigen«, wie einer der zahlreichen Titel des Führers lautet, verkörpert das Bewusstsein, dass, wie Revolutionsführer Ajatollah Ruholla Khomeini es einmal formulierte, das Regime zwei Flügel benötigt, um seine Ziele zu erreichen und abzustürzen droht, wenn es einen von ihnen einfach abhackt.

Diese Konzeption war bereits seit der allzu offensichtlichen Wahlfälschung 2009 sowie durch die eindeutige und frühzeitige Parteinahme von Khamenei für den damaligen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad in Frage gestellt. Seit der Wahl von Hassan Rohani 2013 wurde sie partiell restauriert, wodurch das Regime wieder etwas von jener Stabilität zurückzugewinnen hoffte, die es durch die überraschend starken Proteste 2009 und durch die Aufkündigung des Herrschaftskompromisses verloren hatte. Ein Ausdruck dieser Restaurierungsbemühungen war die Zusammensetzung der Regierungskabinette von Rohani, der bei seiner Ministerauswahl mit Ausnahme der Gruppe um Ahmadinejad und jener »Reformislamisten«, die ihm überhaupt erst zum Sieg verholfen hatten, die Bedürfnisse fast aller Fraktionen berücksichtigte und eine Art großer Koalition zustande brachte, um das Fundament des Regimes wieder zu verbreitern.
In diesem Sinne bedeutet die Zusammensetzung des Kabinetts von Ebrahim Raisi eine erneute Aufkündigung des breit angelegten Herrschaftskompromisses. Im Sicherheitsbereich können die Revolutionsgarden wie zu Zeiten Ahmadinejads ihren ohnehin schon massiven Einfluss noch weiter ausbauen. Rohani hatte im Gegensatz zu Ahmadinejad und Raisi versucht, sie zu Gunsten des traditionellen Geheimdienstes MOIS ein wenig in die Schranken zu weisen – was nichts mit einer im Westen geradezu herbeibeschworenen »Mäßigung« zu tun hatte, sondern lediglich die Verschiebung von einem Machtzentrum zum anderen innerhalb des Regimes bedeutete.

Auch hinsichtlich der zentralen Elemente des Antisemitismus des iranischen Regimes steht die Raisi-Regierung einerseits für ideologische Kontinuität und andererseits für eine Radikalisierung, die in personeller Hinsicht teilweise an die Amtszeit von Ahmadinejad anknüpft. Raisis Innenminister, Ahmad Vahidi, der unter Ahmadinejad bis 2013 Verteidigungsminister war, verkörpert wie kaum ein anderer iranischer Spitzenpolitiker den antisemitischen Charakter des Regimes: Er wird bis zum heutigen Tag von INTERPOL mit internationalem Haftbefehl gesucht, da er von Argentinien als einer der Hauptschuldigen für den Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA 1994 in Buenos Aires angesehen wird, bei dem 85 Menschen ermordet wurden. Das gleiche gilt für Moshen Rezaei, einen hohen General der Revolutionsgarden und mehrfach gescheiterten Präsidentschaftskan-didaten, der von Raisi nun zu einem seiner Vizepräsidenten ernannt wurde. Zahlreiche weitere Kabinetts-mitglieder finden sich wegen schwerer Menschenrechtsverletzungen auf Sanktionslisten der USA, der EU oder Kanadas.

Raisis Außenminister, Hossein Amir-Abdollahian, der unter Rohani als stellvertretender Außenminister für die arabischen Länder und Afrika zuständig war, tituliert Israelis als »zionistische Schweine«. Von ihm und Raisi ist eine Intensivierung der ohnehin schon massiven Unterstützung für die zahlreichen proiranischen Milizen in den Nachbarländern des Iran und an den Grenzen Israels zu erwarten. 2018 war Amir-Abollahian als Generalsekretär der »Internationalen Konferenz zur Unterstützung der palästinensischen Intifada« einer der Organisatoren des »Ersten Internatio-nalen Sanduhr Festival«, das auf seiner Website israelhourglass.com das »fake regime« namens Israel attackierte. Das Symbol des Festivals war ein Davidstern, der sich beim Durchlaufen einer Sanduhr auflöst. Mehrere Monate wurden Einreichungen entgegengenommen, die das erhoffte Ende Israels in spätestens 25 Jahren illustrieren und den bösartigen, »bestialischen« und »unmenschlichen« Charakter des Zionismus sowie seiner Unterstützer dokumentieren sollten. Das Motto des Festivals bezog sich auf Reden Khameneis, der 2015 und 2016 angekündigt hatte, das »zionistische Regime« werde bis zum Jahr 2040 endgültig ausgelöscht sein, woraufhin die herrschenden Ayatollahs in Teheran 2017 eine Installation aufstellen ließen, welche die Tage bis zum Endsieg über den jüdischen Staat zählt. Als neu ernannter Außenminister erklärte Amir-Abdollahian im September laut der iranischen Nachrichten-agentur Fars News, das iranische Regime strebe weiterhin »die totale Eliminierung […] des Zionismus« an, den er als Form »rassistischer Diskriminierung« attackierte.

Bereits im Februar dieses Jahres hat die Anti Defamation League eine umfassende Studie vorgelegt, die akribisch aufzeigt, wie iranische Schulbücher weiterhin sowohl von klassisch antisemitischen Motiven (etwa der schon von Khomeini aufgestellten Behauptung, Juden hätten sich von Beginn an gegen den Islam verschworen und islamische Schriften verfälscht) als auch von einem eliminatorischen Antizionismus geprägt sind. Im Juni 2021 hat der Direktor der ADL, Jonathan Greenblatt, darauf verwiesen, dass Ebrahim Raisi bereits vor seiner Wahl zum Präsidenten in die Verbreitung antisemitischer Propaganda involviert war: 2016 wurde Raisi von Ali Khamenei zum Direktor der Astan-Quds-Razavi-Stiftung ernannt. Die religiösen Stiftungen sind in der »Islamischen Republik« von enormer Bedeutung und verfügen aufgrund ihrer Milliarden-Budgets über immensen Einfluss. Die Razavi-Stiftung betreibt mehrere Zeitungen, Druckereien und Verlage und unterhält Forschungs- und Bildungsein-richtungen sowie zahlreiche Wirtschaftsunternehmen. Raisi beaufsichtigte in seiner Zeit als Direktor von 2016 bis 2019 laut ADL die Produktion eines 50-teiligen Dokumentarfilms unter dem Titel Des Teufels Plan, der eine Art aktualisierte Illustration des antisemitischen Klassikers Die Protokolle der Weisen von Zion darstellt, die von der Razavi-Stiftung früher in Druckfassungen verbreitet wurden. Präsentiert wurde der unter der Aufsicht Raisis entstandene Propagandastreifen 2018 von der Razavi-Stiftung unmittelbar vor dem Al Quds-Tag, an dem seit 1979 auf Geheiß von Khomeini weltweit am Ende des Fastenmonats Ramadan für die Vernichtung Israels demonstriert wird, und an dem in den letzten acht Jahren auch regelmäßig der im Westen systematisch verharmloste Rohani teilgenommen hatte.

Dass sich an der fatalen, das antisemitische Terrorregime in Teheran hofierenden europäischen Iran-Politik der letzten Jahre auch durch die Wahl Raisis nichts Substantielles geändert hat, wurde bereits bei dessen Angelobung Anfang August deutlich: In der ersten Reihe saßen dort Vertreter der palästinensischen Terrortruppen Hamas, Islamischer Djihad und PFLP sowie von der libanesischen Hisbollah – und eine Reihe dahinter Enrique Mora, der zweithöchste Außenpolitiker jener EU, in der Hamas, Islamischer Djihad und PFLP als Terrororganisationen verboten sind. Allein damit wurde der Führung in Teheran signalisiert, dass sie von der europäischen Politik auch weiterhin keine ernsthaften Konsequenzen für ihren Antisemitismus und die Unterstützung des antiisraelischen Terrors zu erwarten hat.