Ende kann weg, Volkskanzler muss weg

Was ein Ende der Demokratie mit der potentiell ewigen Diktatur der technologischen Entwicklungen zu tun haben könnte: Von Phantasmen des Endes schreibt Tanja Brandmayr.

Von welchem Ende reden wir? Von welchen Phantasmen? Ich beziehe mich in diesem Text auf einige Bilder und Referenzen, die mit einer Idee »des Endes« zu tun haben, mit Phantasmen vom Ende. »Das Ende« scheint dabei ein so klares Konstrukt zu sein, dass es meist unhinterfragt bleibt. Beziehungsweise: Dass auf einem »Konzept des Endes« bisher hauptsächlich Religionen (oder auch der Transhumanismus) das Händchen draufgehalten haben, und schöne bis schreckliche Erlösungsideen entwickelt haben, ist die eine Sache. Dass auch Diktaturen eine Art abstruses Monopol auf gefährliche Ewigkeitsideen halten, ist der andere Grund, das Konzept »des Endes« eventuell neu zu überdenken. 

Der Volkskanzler (und das Ende der Demokratie)

Beginnen wir deshalb mit Aktuellem, auch wenn es zunächst weit weg scheint. Sehen wir uns das Konzept des Volkskanzlers an. Nicht nur Herbert Kickl, auch Adolf Hitler bezeichnete sich in seinen frühen Jahren als Volkskanzler1. Hitler wechselte dann bekanntermaßen in seiner Eigenbezeichnung zum Führer. Was will nun der Führer alias Volkskanzler, wenn man sein Verhältnis zum Ende ansieht? Ja, er will das Ende der Demokratie, so viel ist klar. Und ja, der Volkskanzler spielt mit den lebensfeindlichen bis morbiden Gefühlen seiner Anhänger. Der Todestrieb im Faschismus ist nicht unbekannt, als irrsinnigstes Phantasma verspricht er das »tausendjährige Reich«, nichts weniger als ein Versprechen auf die totale Ewigkeit. Religionen und Transhumanisten wirken im Spiel um die Verzweiflung der Menschen über ihre eigene Sterblichkeit (und die ultimative Demütigung durch den Tod), da irgendwie nur wie die Clowns im Spiel um das Ende. Denn das wahre Endspiel um die Ewigkeit betreibt hier ein politischer Willen mit Drall zur Gleichschaltung und Kontrolle. Demokratie abschaffen um das tausendjährige Reich zu installieren: Das ist ein Phantasma, das direkt in die tote Ewigkeit führt. Dass in der Installierung eines solchen Phantasmas, auch aktuell, Rechtsextreme nur die Drecksarbeit für diejenigen Rechten und Wertkonservativen ausführen, die Demokratie, selbstbestimmtes Leben, Aufklärung, Vernunft, Friede als quasi »woke« Errungenschaften unserer Zivilisation schon die ganze Zeit schlechtreden, mag sein. Dass sich diese Sympatisant:innen oder Halbympathisant:innen ebenso mit Putin, Orban oder der rechtsextremen AfD ins Bett legen, ist offensichtlich. Die Erstarkung dieser grauen Braunzonen, von smart bis zur offenen Wiederbetätigung, spielt sich aktuell vor unseren Augen ab, von der »realen Realität« bis hin zur Spielwiese der neuen digitalen (Halb-)Öffentlichkeiten. Dass in Umfragen aktuell 30% der Wähler:innen tatsächlich einen »Volkskanzler« mit seinen Kampf- und Untergangsphantasien würden wählen wollen, ist so unaussprechlich wie eine mögliche Wiederwahl Trumps – und das alles ohne unmittelbare Bedrohung oder ohne direkt von jenen Kriegen betroffen zu sein, die woanders stattfinden. Das ist alles entsetzlich und abzulehnen. Aber hier soll vor allem festgestellt werden, dass ein Ende der Demokratie eventuell in morbider Verbindung zur einer Idee von statischer Ewigkeit steht.2 

Der Kapitalismus (und die Vorstellung seines Endes)

Die Kulturtheorie ist natürlich auch nicht faul gewesen. Sehr wohl beschäftigt sie sich mit dem Ende, aktuell tut das etwa Alessandro Sbordoni in seiner Publikation Semiotics of the End. Am Rückcover steht griffig formuliert: »Die Apokalypse wird nicht stattfinden, weil sie bereits vollzogen ist. Heute gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dem Ende der Welt und dem Kapitalismus selbst«. Natürlich bezieht sich dieser Ansatz auf die Feststellung, wonach es leichter sei, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus. Dazu, ebenfalls im Kurztext zu Buch: »Wenn es einfacher ist, sich das Ende der Welt vorzustellen als das Ende des Kapitalismus […], dann nur, weil wir uns noch nichts vorgestellt haben«. Das Buch versammelt dazu Essays, die seiner Leser:innenschaft spezifische Darstellungen »des Endes« in der Kultur des 21. Jahrhunderts vorführen. Es geht um Erschöpfung bzw Müdigkeit als Symptom einer »Psychopathologie des Kapitalismus«, Schlaflosigkeit und das Dauerleuch-ten des Bildschirmes, es geht um die Transformation von Zeit zu Konsum, von Freizeit, die im technologischen Komplett-Connecting zu Arbeitszeit wird, oder auch, um beispielhaft konkret zu werden, um eine Verschränkung von Jean Baudrillard mit dem Film Open Your Eyes (Neuverfilmung: Vanilla Sky, Tom Cruise, igitt). Zum Film schreibt der Autor: »[Es] gibt keinen Tod mehr, da das Leben der Geliebten der Hauptfigur mittels Traumsimulation im Austausch gegen Geld reproduziert wird. Der Hauptdarsteller lebt in einer Phantasie, in der der Tod durch Kapital negiert und die Zeit durch Technologie abgeschafft wird.« Selbstredend sind Privatunternehmen im Spiel. Baudrillard wird bezüglich Kerngeschäft des Endes, also hinsichtlich Tod, sinngemäß damit zitiert, dass ein Ende immer nach seinem Ende gelebt wird: »Heute gibt es keine Zeit mehr nach dem Ende: keine Zeit mehr um zu enden. Sobald das Ende sich selbst reproduziert, reproduziert es sich unendlich in einer Schleife. Noch einmal spielen?« Soviel zu den Technopolitics des Loops: der Loop als einer von mehreren Gegenphantasmen zum Tod und zum Ende. Sbordoni listet in seinem Buch insgesamt Beispiele von Hypersimulation, Wiederholung, Katastrophen-Nihilismus, erkennt Gleichförmigkeit oder die Ununter-scheidbarkeit von Gegenwart und Vergangenheit, beschäftigt sich mit dem Code der Maschine, mit Tech-No-Logik, einer Art Null-Negation – und vieles mehr. In einem kurzen Absatz vermerkt er an einer Stelle: »Bei der Herstellung dieses Buches wurden KEINE Maschinen beschädigt«. Maschinen, die nichts über das Ende wissen, bzw. nach ihrer Fähigkeit und Funktionalität hinsichtlich eines »Imaginären« befragt wurden. Bitte selber lesen. Aber um nun die Frage im größeren Zusammenhang zu stellen: Kann das Ende, kann der Kapitalismus weg? Antwort: Wenn das Ende den Anfang darstellt, dann kann der Kapitalismus hier wohl eher kaum weg, sondern das Ende der Welt kann vor allem deswegen weg, weil es sich im technokapitalistischen Zusammenhang in Ewigkeit reproduziert.
 
Die Kunst (und das Ende der Imagination)

Was ist nun die Rolle der Kunst, innerhalb der drastischen Paradigmen-wechseln, die sich aktuell in einem Umfeld von Multikrisen abspielen? Welche zeitgenössischen Formen des Endes thematisieren sie? Die radikalen Verweigerungshaltungen der frühen und auch späteren künstlerischen Avantgarden ab der 1920er-Jahre scheinen gescheitert. Die große Ambivalenz scheint ausgebrochen, ein großes Sowohl-als-auch. Um zu umreißen, was damit im größeren Zusammenhang gemeint ist, anhand des Beispiels KI: Je nach Zukunftsversprechen rettet uns »die künstliche Intelligenz« den Arsch (Klima, Medizin etc) oder fickt uns in den Arsch (Überwachungshölle, autonome Waffensysteme etc), wahrscheinlich aber beides. In dieser Ambivalenz der Welt, des Endes und des Sowohl-als-auchs (aber abseits von Beliebigkeit) bemerke ich in einem Kunstumfeld (aus einer hier deklariert persönlichen Sicht) zurzeit vor allem Arbeiten, die, was ihre Wirkung betrifft, auf magnetisch-meditative Weise  eine Art Halluzination der Maschine reflektieren, einen Nachhall, einen Postglow und einen Abgesang auf die Menschheit und/oder ihre Phantasmen des Verschwindens. Oder einer Wirkung, als ob die in einem größerem Maschinen-System involvierten Individuen allerhöchsten für ein schwaches Echo von Befindlichkeit und Gefühlen sorgen. Ein anderes Mal erkenne ich in der Medialität dieser ausgestellten Zusammenhänge eine Art Zusammenfallen von allem, was irgendwann einst ein Widerspruch war. Gegensätze, die in einer dialektischen Spannung Entwicklung ermöglichen, scheinen zumindest vorerst aufgehoben. Sprich, es fallen nicht nur Dinge wie Aktivität und Passivität, Wachzustand und Traum, Reproduktion und Imagination zusammen. Sondern auch axiomatische Gegensätze wie Raum und Zeit. Mit zwei sprechenden Titeln der Künstlerin Dagmar Schürrer gesprochen: »Time is just a Memory«, oder: »We are already History and we don’t know it«.3 Und die Maschine imaginiert, oder vielmehr manifestiert ihre umfassende Bedeutung. 

Der Mensch (und sein Ende in der ewig stabilen Diktatur)

Befinden wir uns in einer Phase des Modernisierungsschocks? Und wird für Hinz und Kunz danach wieder alles besser? Wie einst zu Zeiten des guten, alten Nationalsozialismus? Oder befinden wir uns, wie es im Zusammenhang mit AI auch öfters anklingt, auf direktem Weg in eine ewige stabile Diktatur der Algorithmen? In Anbetracht dessen, dass wir hier eine Hypothese des Übergangs des Endes in ETWAS, das wir noch nicht kennen, vertreten, und doch auch darauf hoffen, dass keinerlei Diktaturen jedweder Art auf uns zukommen, soll diese Frage an dieser Stelle unbeantwortet bleiben. Zumal sich die Realität aus zu vielen Deltas errechnet, auch aus zu vielen realen bis phantasmagorischen Enden. Wir wollen hier auch nicht in kritischem Gestus posen, wie es leider zu oft auch gemacht wird. Auch Kritik wird ins System integriert und sie scheint umso wirkungsloser, je mehr sie beschworen wird. Stattdessen soll an dieser Stelle auf das Netzkultur-Festival AMRO - Art meets Radical Openness verwiesen werden, das im Mai in Linz unter anderem der Frage nachgeht, »wie KI in den letzten Jahren zu einer neuen Leitmetapher geworden ist, die den gesamten technologischen Stapel organisiert und einbezieht«, wie es Davide Bevilacqua in seinem Text zum Festival beschreibt.4 Er verweist in diesem Zusammenhang auf die Autorin und Forscherin Kate Crawford in und ihr 2021 erschienenes Buch Atlas of AI: Power, Politics, and the Planetary Costs of Artificial Intelligence. Insgesamt geht es bei AMRO um »Extraktionen« sämtlicher Art, von Ressourcen für Rechnersysteme bis hin zur Extraktion der besten Teile des Menschen, seiner DATEN. Wir verstehen das Festival AMRO als eine Maßnahme gegen das Ende. 

Das Geschäft mit dem Untergang (Volkskanzler muss weg)

Abschließend sei noch einmal Sbordoni referenziert, wonach die Welt nicht mit einem Knall, sondern einem Gähnen endet. Das verweist auf eine kapitalistisch getriebene Kulturindustrie des Untergangs, in der Katastrophen nur mehr wie Pornos konsumiert werden. Auf der anderen Seite der Welt sind Krieg und Terror jedoch normal geworden. Und, um damit auf diejenigen Untergangsfanatiker zurückzukommen, die die Angstlust als politisches Geschäft anheizen: Bitte keine Volkskanzler wählen.

[1] Zwar haben auch andere Kanzler diesen Begriff gelegentlich für sich beansprucht, Kickl hat ihn jedoch fest in sein propagandistisches Repertoire übernommen.
[2] »Das Ende« bezeichnet in den drei abrahamitischen Religionen die »Endzeit« als Zeitraum, bevor der jeweilige Erlöser kommt. Umgelegt auf Diktaturen, würde dies bedeuten, die »Endzeit« vor der Erlösung zu beenden, die Demokratie. 
[3] Arbeiten von Dagmar Schürrer: siehe auch aktuelle Referentin #35
[4] Text siehe aktuelle Referentin #35, AMRO 2024: https://radical-openness.org/en