Natur aus zweiter Hand

Anlässlich der aktuell laufenden Ausstellung Donau:Insel im Lentos unterhalten sich Herwig Turk und Franz Xaver über dynamische Flusssysteme. 

Franz Xaver: Hallo Herwig Turk. Das letzte Mal führten wir 2013 ein E-Mail-Gespräch zum Thema »Mythos Medienkunst«. Nun sind mehr als 10 Jahre vergangen und Medienkunst und Technologie haben sich weiterentwickelt. Du hast nun die Ausstellung Donau:Insel mit Gebhard Sengmüller im Lentos und hast mich gefragt, ob ich zum Thema Wasser bzw. Donau etwas beitragen kann. Da ich mich seit meiner Zeit im Medienkunstlabor im Kunsthaus Graz, also seit 2007, mit Wasser, Information und Gesellschaft beschäftige, kann ich das. Ich beginne mit etwas Grundsätzlichem, nämlich mit der Aussage, dass Themen rund um Isolation und Inseln gerade in einer globalen Informationsgesellschaft unabdingbare Positionen bilden, um sich damit intellektuell auseinandersetzen zu können. Die kommerziellen Player dringen immer offensiver auch in unser privates Leben vor. Bevor wir unser Gespräch über diverse Hintergründe beginnen, könntest du bitte Grundsätzliches zur Ausstellung wie Dauer, Themen, Herangehensweisen bzw. die Nutzung künstlerischer Freiräume mitteilen?
 
Herwig Turk: Die Ausstellung Donau:Insel läuft bis 5. Mai im Lentos Linz. Sie spielt schon im Titel mit den drastischen wasserwirtschaftlichen Eingriffen der letzten 100 Jahre, wie Regulation und Dammbauten, die sich im Flusssystem widerspiegeln. Was konkret die Inseln betrifft: Es gibt heute im oberösterreichischen Donauabschnitt, mit Ausnahme der Insel Wörth an der Grenze zu Niederösterreich, keine Flussinseln mehr, sie fielen der Donauregulierung zum Opfer. Dabei wurden die Normalbreite und das Normalprofil am Ende des 19. Jh. als technische Kategorien entwickelt, die den ganzjährigen Schiffsverkehr sichern sollten. Das war die große historische Überformung, deren Auswirkungen im physischen Raum bis heute wirksam sind. Die Flusslandschaft wurde und wird aber ständig weiter umgebaut. Jede neue Strategie, die auf immer weiterreichende Steuerung von Natursystemen abzielt, wird als Reaktion auf die Folgeprobleme vergangener Eingriffe gesetzt – wir befinden uns also mitten in einer Risikospirale. Für uns als Künstler werden da gesellschaftliche Dynamik und gesellschaftliche Wandlungsprozesse sichtbar. Es manifestiert sich eine Ästhetik, die wir als dynamische Landschaftsaufnahme umsetzen. In der Ausstellung finden die Besucher:innen viele Spuren, die wir legen; und Material, das im Flusssystem ein Rolle spielt, wobei die Donau in Wien sich mit der Donau in Linz berührt. Die transdisziplinäre Forschung zur Donau in Wien zwischen 2021 und 2023 bildet ja die Basis unserer Arbeit, die in einer ersten Konfiguration schon in unserer Ausstellung Donau: Schichtwechsel im Lückenraum im Frühjahr 2023 in der Galerie rauminhalt_harald bichler zu sehen war. Unsere Rolle als Kollektiv1, das Kunst produziert, ist dabei sowohl analytisch als auch gesellschaftlich produktiv zu verstehen: Wir bieten eine Wahrnehmung der Landschaft an, die zum Verständnis der sichtbaren und unsichtbaren Transformation unserer Wassersysteme beitragen kann. Wir versuchen, die Komplexität der Nutzungskonflikte zu zeigen, und auf die Natur aus zweiter Hand hinzuweisen, in die wir eingebettet sind.

 

Transekte, 2023 (Bild: Herwig Turk & Gebhard Sengmüller)

 

Franz Xaver: Ich muss sagen, euer Zugang bringt für mich auf jeden Fall einen anderen künstlerischen Kontext, aber auch generell ist euer künstlerischer Umgang mit dem Medium »Wasser« anders als ich es gewohnt bin. Ihr habt, nach meinen groben Recherchen, die wissenschaftlichen Analysen von eurer Kunst sauber getrennt. Das ist ein Unterschied zu meinen Arbeiten auf und im Wasser, ich arbeite sehr praxisnah. Unsere Arbeiten sind eigentlich inkompatibel. Trotz grundsätzlich verschiedener Positionen habe ich aber doch gemeinsame Themen gefunden, wie etwa ein naturnahes Arbeiten bzw. die Klärung von Begriffen, die rund um die Natur immer wieder verwendet werden. Lass uns darüber reden. Der Unterschied zwischen Naturierungs- und Renaturierungsprojekten etwa kann schon enorm sein. Oft geht es bei dem Begriff der Renaturierung, der ja wirklich häufig vorkommt, um eine Natur, die auf dem Reißbrett konstruiert wird, um sie in eine echte Natur zu integrieren. Natürlich kann man das machen, denn auch »konstruierte Natur« wird sowieso in ein paar Jahren in die »echte Natur« aufgenommen. Wir haben aber nun in unserem STWST-Shop ein T-Shirt, auf dem »No Architects« zu lesen ist. Diese Aussage verdeutlicht unsere Haltung zur Konstruktion und fordert mehr Mut zur Spontanität. Eine Renaturierung als Ingenieursleistung kann und will ich als Mensch und Künstler nicht akzeptieren. Ich setze auf die Vielfältigkeit der Natur und auf eine Evolution, die sowieso nicht zu stoppen ist. Ich würde meine Arbeit einfach nur »Naturierung« nennen und sehe diesen Prozess, der früher oder später sowieso alles »künstlich Gemachte« in einen Prozess der ökologischen Folgewirkungen integriert, eher als Entwicklungshilfe der Natur. Als positives Beispiel möchte ich auf ca. 20 schwere Steine hinweisen, die wir auf der Kante unserer Donaurampe bei der Nibelungenbrücke aufgeschichtet haben und die zu einer Versandung dieser Rampe führte. Dort entwickelte sich dann ein kleiner Donausandstrand von 10 Metern, der zum Baden einlädt. Diese Idee brachte ich auch bei der Planung des großen Donaustrands in Alturfahr-West ein. Als Antwort bekam ich nur: Wer will schon in diesem Dreck baden? Als Beispiel für Naturierung würde ich auch Natur in einer Industrielandschaft anführen – dort entwickelt sich Natur mit einer ganz anderen Kraft, eben weil keine Landschaftspflege betrieben wird. Als weiteres Beispiel möchte ich unsere schwimmenden Gewächsinseln und den schwimmenden Apfelbaum anführen. Dort hat Wildwuchs höchste Priorität. Meine Frage: Wie siehst du Renaturierungsprojekte an der Donau?
 
Herwig Turk: Danke für die Stichworte, besonders gut gefällt mir »Entwicklungshilfe für die Natur«, was mich aus deiner Tastatur überrascht hat, aber ich glaube zu verstehen, aus welchem Kontext heraus du das schreibst. Dein Selbstverständnis als aktiver Teil des Konglomerats, das wir als Natur oder Natur aus zweiter Hand bezeichnen, finde ich wichtig. Die Aussage, dass Renaturierung ausschließlich vom Reißbrett aus gemacht wird, halte ich für polemisch, ich habe sehr engagierte und bemerkenswerte Leute sogar in der Wildbachverbauung kennengelernt. Dass eine Rampe oder Buhne im Abstrombereich zu Sediment und Sandablagerungen führt, lernen die Reißbrettler auch im ersten Semester. Aber, es gibt – soweit ich es verstanden habe – einen Paradigmenwechsel im Wasserbau, der von der alten Prämisse, das Wasser möglichst schnell aus der Landschaft ausleiten zu wollen, abgeht. Derzeit wird versucht, möglichst viel Wasser möglichst lange in der Landschaft zu halten und auch Retentionsflächen zu schaffen, die Überflutungen zulassen. Insofern ist Renaturierung oft auch der billigere Hochwasserschutz. Vieles in der Renaturierung sind Großprojekte mit massivem Maschinenpark, den genau die Firmen besitzen, die schon vorher die Verbauungen gemacht haben und die wieder enorme Ressourcen verschlingen, um nur das Ärgste abzuwenden, was durch die gnadenlose Instrumentalisierung unserer Landschaft immer wieder auf uns zukommt. Mit deiner Beharrlichkeit in der Beobachtung und durch deine Aktionen, die sich mit dem Wasser vermischen, erreichst du eine außergewöhnliche Qualität der Auseinandersetzung als Anwohner und Künstler. Das hat in meinen Augen mit deiner positiven Starrköpfigkeit zu tun, mit der du festhältst an der Bearbeitung des Gefüges, in dem du dich bewegst. Ein Gefüge, das aus Institutionen, Menschen, Tieren, Steinen, Partikeln und Wellen etc besteht. Ob du damit mehr naturierst als ich, wäre eine interessante Frage, weil wir ja immer beteiligt sind an der Evolution und diese komplex ist. Aber sozial schaffst du auf jeden Fall wichtige Freiräume, die zwar von offizieller Seite marginalisiert werden, aber die einen wichtigen Zugang zum öffentlichen Raum Fluss herstellen. Besonders schön finde ich auch dein Aalhotel, wo du einfach an nicht so glamouröse Wasserwesen denkst, ungeachtet dessen, ob sie es benutzen oder nicht. In meiner Arbeit finde ich es wichtig, die historische Dimension unserer Verwicklung mit der Landschaft und unser aktives Landscaping ins Bewusstsein zu bringen. Nicht nur unsere Generation befindet sich in einer außergewöhnlichen oder dramatischen Situation, auch wenn es in unserer Wahrnehmung so zu sein scheint. Eigentlich bewegen wir uns in einer Spirale von Reaktionen und Modifikationen unserer Umwelt. Aber die Techniken werden immer mächtiger und das Kapitalozän, wenn man es so bezeichnen möchte, hat ganz andere Möglichkeiten der tiefgreifenden Transformation als die erste Industrialisierung. In unserem Projekt arbeiten wir mit wissenschaftlichen Daten und im Dialog mit Wissenschaftler:innen, um dann in freieren künstlerischen Interpretationen zwischen Wissenssystemen auch Brücken zu bauen. Welche Art von Wissen oder Praxis generieren deine Kunstprojekte? Siehst Du dich als Künstler oder als Aktivist?

 

Jagdkarte, 2023 (Bild: Herwig Turk & Gebhard Sengmüller)


 
Franz Xaver: Ich antworte zuerst zum Polemischen. Ich habe bezüglich des Reißbretts natürlich ein wenig übertrieben. Ich kann den Argumenten der Ingenieure ja grundsätzlich gut folgen, da ich selber eine Ingenieursausbildung in Elektrotechnik habe. Aber untersuchen wir doch kurz das Verhältnis des Ingenieurwesens zu Bäumen. Bäume haben ja eine wichtige Rolle im wassernahen Bereich. Aber sie sind den Ingenieuren bis zu einem gewissen Grad immer ein »Dorn im Auge«, weil ihre Festigkeit nicht genau berechnet werden kann. Du weißt, ich arbeite praxisnah, deshalb ein Beispiel: Das Hochwasser 2013 hat im Bereich des jetzigen Badestrandes Alturfahrwest das Ufer abgetragen. Zwischen Hochwasserdamm und dem Donauufer befinden sich mächtige Weiden und Pappeln. Die Donau schwemmte das Erdreich bis zu den Bäumen weg. Es entstand eine bis zu 6 Meter steil abfallende Uferkante, die bei den Wurzeln der Bäume endete. Die Wurzeln verhinderten, dass sich die Donau bis zur Straße und dem Hochwasserschutz nähern konnte. Bei der Sanierung nach dem Hochwasser kamen die Ingenieure zum Schluss, dass die Bäume nun zur Gefahr geworden sind, weil die Festigkeit nicht mehr gewährleistet ist und sie den Hochwasserschutz gefährden. Was ich sagen will, ist, dass Entscheidungen noch immer allein von Technikern mit dem Argument der Sicherheit getroffen werden können. Aber nur aus einer grundsätzlichen Haltung, dass Bäume mit ihren Wurzeln die Bauwerke schützen sollen.
Die Natur könnte aber ein eigener Rechtskörper sein, der sich selbst vertritt – und nicht nur einem Versicherungsgedanken von Natur untergeordnet ist. Entscheidungen allein über Fakten, Gutachten, empirischen Untersuchungen, Risikominimierung, Versicherungswerten etc. zu treffen, ist nicht unbedingt zielführend. 
In Bezug auf Natur ist für mich ein grundsätzlich anderes, neues Denken notwendig, bei dem die Kunst mit einbezogen wird. Damit beziehe ich mich auf meine eigene künstlerische Forschung. Hier ins Detail zu gehen, führt eigentlich zu weit, aber was ja die Kunst leisten kann, sind unkonventionelle Querverbindungen. Ergebnisse, die durch – nicht immer ganz rationale – Entscheidungen eventuell die Natur besser integrieren als die in der Praxis oft unflexiblen Ingenieurentscheidungen. Die ISO-Normen können wahrscheinlich in Zukunft zudem von der KI effektiver, schneller und günstiger gemacht werden. Wir müssen daher ehestmöglich die Kunst in sämtliche Entscheidungsprozesse hineinreinreklamieren. Innerhalb meines künstlerischen Forschungsbereichs, nachdem du gefragt hast, sind das imaginäre Einheiten von Information2. Bzw. eine Entscheidungs-findung unter Einbeziehung einer imaginären Einheit. Ich sage nur so viel: Es geht um den imaginären Faktor in sämtlicher Natur. Das Problem der Unberechenbarkeit der Natur bleibt natürlich bestehen, aber es gäbe innerhalb meines Denkmodells, das die imaginäre Einheit miteinbezieht, weniger fragwürdige »Wahrheiten«. Dieser Gedanke kommt mir sehr entgegen, da der Anspruch auf »die« Wahrheit, etwas sehr Gefährliches ist, wie wir hoffentlich aus der Vergangenheit gelernt haben. 

Herwig Turk: Zur Wahrheit: Mir widerstreben simple Verallgemeinerungen. Auf keinen Fall sehe ich auf der einen Seite Ingenieur:innen und auf der anderen Seite Künstler:innen als homogene Gruppen. Ich kann jedenfalls den vielen romantisch verklärenden Positionen, die in der Kunst als Natur auftauchen, wenig abgewinnen. Ich habe viel gelernt von Ingenieur:innen und Wissenschaftler:innen, wenn es um Flussdynamik und vernetzte Systeme geht. Bei Texten von Kunstkritiker:innen zu Ökologie und Gesellschaft wird mir aber öfters schwindlig. Die Behauptungen klingen in einem zeitgenössischen Jargon oft sehr gut, sind aber oft mit sehr wenig Empirie unterfüttert. Da geht es eher um Denkstile und Denkkollektive und ein kontextgebundenes Wissen (L. Fleck), das manchmal der Komplexität nicht gerecht wird. Klar ist, dass die Kunst generell einen umfassenderen Raum der Wahrnehmung und des Ausdrucks zulässt als die Praxis der Technik und der Naturwissenschaften. 
Ein brennendes Problem ist meines Erachtens die Ressourcenverteilung, insgesamt geht es um gesellschaftliche Aushandlung der Themensetzung. Im Zuge dessen zu überlegen, wie nicht humane Wesen (z.B. ein Fluss) zu einem Rechtssubjekt mit einer qualifizierten Vertretung werden, ist mindestens als Perspektivenwechsel sehr fruchtbar. Es gibt ja schon Fallbeispiele z.B. in Kolumbien, Neuseeland und auch Indien, was Einiges ins Rollen bringt in unserem Verhältnis zur Nutzung von Ressourcen. Ist es uns wichtiger, Auto zu fahren, neue Flächen zu versiegeln und weiterzumachen wie bisher? Oder soll tatsächlich eine Neuorientierung eingeleitet werden, die nicht nur die kapitalistische Verwertbarkeit im Auge hat. Die Ressource Feuchtgebiet und Auwald etwa kann sogar als Ökosystemleistung beziffert werden, aber das ist ja nur eine weitere Perversion unserer Herangehensweise. Es wird mit Sicherheit riesige Schadenssummen geben, die beglichen werden müssen, wenn wir einfach weitermachen. Mit unseren transdisziplinären Kunstprojekten versuchen wir, die Entscheidungsfindung für die Zivilgesellschaft zu unterstützen, die Komplexität und die Widersprüche abzubilden, die auf historischen Nutzungskonflikten basieren. Dabei sind wir näher an der Analyse und Aufzeichnung und weniger im Feld des Aktivismus.

Franz Xaver: Ich würde gern im größeren und weiteren Zusammenhang über Begriffe wie »Prozesskunst« und »Generative Kunst« sprechen, aber das würde wahrscheinlich auch zu weit weg führen. Deshalb beschränke ich mich auf den Kontext Fluss, auf die Frage: Fluss beinhaltet über die Strömung den Faktor Zeit, er kann also als Prozess betrachtet werden. Er kann aber auch, wenn er bei Hochwasser über die Ufer tritt, generativ wirken und sich selbst ein neues Flussbett suchen. Mit diesen Begriffen die konkrete Frage: Inwieweit ist der Ansatz eines »Prozess des Flusses« für deine Arbeit wichtig?

Herwig Turk: Wir verstehen unsere Arbeit als dynamische Landschaftsdarstellung und insofern als ein offenes Kunstwerk mit einem Netzwerk von narrativen Strängen, welche sich immer wieder neu in Beziehung setzen. Mehrkanal-Videoinstallationen, Zeitlupen aus dem Labor, Langzeit-Intervallaufnahmen des Uferbereichs, das sind alles Arbeiten mit Zeitachsen. Die Videoinstallationen sind deswegen so wichtig, weil sie gut zeigen, wie sich die Flusslandschaft saisonal verändert und wie selbst so eingefrorene Landschaften wie die regulierte Donau in Linz oder in Wien doch ständigen Veränderungen unterworfen sind. Im Grunde gibt es keine Möglichkeit, die Komplexität des Flussnetzwerkes abschließend zu porträtieren, es geht eher um die Darstellung der Komplexität und der dynamischen Achsen, wobei eine Achse die Zeit ist. In der Ausstellung berühren sich die verschiedenen sichtbaren und unsichtbaren Dimensionen. Das beruht auf dem Austausch von unterschiedlichen expliziten Wissenssystemen und nicht explizitem Wissen, einem tacit knowledge nach M. Polanyi. Die künstlerischen Strategien sind eine wesentliche Erweiterung zu den Natur- und Sozialwissenschaften, die einfließen, aber in ihren Vorgangsweisen, auch oft sinnvollerweise, sehr limitiert sind. 

Franz Xaver: Gehen wir zu etwas Hypothetischerem, ich weiß, dir gefällt das Projekt »Aalhotel«, das wir zuvor schon angesprochen haben. Hier geht es um verschiedene Wahrnehmungsmöglichkeiten. Die Tierwelt nimmt Information ja anders wahr. Angefangen von ganz anderen Sinnesorganen (für Erdmagnetfeld, Lichtspektren, Photonenwahrnehmung etc.) bis zu einheitlichen morphogenetischen Feldern, die parallel wahrgenommen werden. Um neue technologische Impulse zu erhalten, gibt es verschiedenste Spekulationen und Versuche, die Wahrnehmung von Tieren zu interpretieren. Information ist der treibende Motor in der belebten Natur, sie wird über den Zeitfaktor bzw. die Veränderung einer Situation geprägt. Und nun komme ich zu den Aalen: Europäische Aale schwimmen zum Laichen in die Sargassosee, vor Bermuda. Die Jungtiere werden dann mit der Meeresströmung wieder nach Europa getrieben und die Tiere finden, ähnlich wie bei den Lachsen, wieder den Weg in die Flüsse. Diese Orientierungsmöglichkeit gibt den Forschern natürlich Rätsel auf. Im ganzen Donauraum gibt es aber keine natürlich vorkommenden Aale. Es wurde immer wieder versucht, Jungtiere in unseren Gewässern anzusiedeln, aber sie scheinen sich nicht fortpflanzen zu wollen. Nun kommt meine komplett unwissenschaftliche Theorie und Hypothese: Dies könnte etwas mit einem evolutionär nicht angepassten Orientierungssystem der Aale zu tun haben. Man nimmt an, der Bosporus ist vor ca. 7000-8000 Jahren durchgebrochen. Was übrigens auch mit dem Begriff der »Sintflut« im Alten Testament und im Gilgamesch-Epos der Sumerer zusammenpasst. Fakt ist, dass im ganzen Raum des Schwarzen Meeres der Aal nicht heimisch ist. In keinem der Zuflüsse ist der Aal zu finden. Argumentiert wird dies über eine andere Temperatur bzw. einen anderen Salzgehalt des Schwarzen Meeres. In meiner gewagten Hypothese behaupte ich aber, die »neue Weltkarte« mit dem neuen Schwarzmeerraum ist einfach noch nicht im Wahrnehmungssystem der Aale gespeichert. Ich habe aus dieser Hypothese heraus diesem Tier am Donaugrund in Linz ein Hotel gebaut. Um sie in die Donau, in ein evolutionär für sie neues Habitat, einzuladen. Das Hotel war ein Röhrensystem und bestand aus schwarzen PVC-Drainagerohren mit 8 cm Durchmesser. Sieben Rohrstücke, ca. 150 cm lang, waren ineinander verflochten und dann in Beton eingegossen, sodass nur vorne und hinten Öffnungen waren. Umgesetzt habe ich die Arbeit mit Andreas Heißl. Verankert wurde das Aalhotel dann bei unserer Forschungsboje an der Donaulände der Stadtwerkstatt. 
Nach diesem Ausflug zu einem der vielen Donauprojekte wieder zurück zum Thema Insel. Unweigerlich landet man da bei den Themen Autonomie und Autarkie. Was bedeutet das für dich?

Herwig Turk: Zum Aalhotel zuerst: Spekulieren lässt es sich immer vortrefflich und lustvoll, ich hab aber zu wenig Ahnung, wie die Wahrnehmung der Aale mit dem Bosporus zusammenhängt. Die Störe, die ja Urzeitgeschöpfe sind, können eine Fischaufstiegshilfe jedenfalls nicht bewältigen, auch da spielt wohl eine mangelnde Flexibilität in der Orientierung eine Rolle. Ein Aalhotel zu bauen und in der Donau zu versenken, halte ich für einen sehr schönen Akt des Kümmerns um eine Tiergattung, die ja nicht gerade große Aufmerksamkeit oder gar Verehrung bekommt. Auch die formale Umsetzung finde ich spannend, weil keine Naturmaterialien, zumindest nicht bei den Rohren, zum Einsatz kommen und trotzdem damit ein neues Habitat entsteht, wenn vielleicht auch nicht für Aale, dann sicher für andere aquatische Wesen.
Und zu deiner Frage: Der Begriff Insel wird oft als Metapher für schwer erreichbare Innen- und Außenbereiche verwendet. Diese Art der Innen- und Außenbereiche, die anderen Regeln folgen, sind für mich so was wie Umrisse von dynamischen Zonen. Mit dem Betreten der Insel verlasse ich ansatzweise die ausformulierte Welt und trete ein in einen Möglichkeitsraum, wo nicht alles determiniert ist. Dort sind die Konventionen noch nicht ausformuliert und das Wissen muss erst etabliert werden. Aspekte dieser Insellogik finden sich für mich in Ausstellungsräumen, Kommunen, Kulturinitiativen, Messschiffen, Internetplattformen oder ähnlichem. Das ist aber nur eine Schicht der Zwiebel, weil es auch um die Frage geht, wie gelange ich dorthin, womit werden die Rahmenbedingungen für diesen (sozialen) Raum geschaffen, worauf wird durch meine Aktivität die Aufmerksamkeit gelenkt.
Das Studium auf der Hochschule für angewandte Kunst in den 80er Jahren war für mich etwa so ein Möglichkeitsraum, wo in meiner Wahrnehmung unendlich viel Zeit da war für die ergebnisoffene Suche und das Experiment. Die unabhängige, autonome Universität als Forschungsstätte empfinde ich heute hingegen als extrem ergebnisgebunden und formatiert. Aber das ist eine andere Geschichte.

Franz Xaver: Ok, dann wechsle ich mit dieser Antwort zu autonomen bis imaginären Szenarien, die mich beschäftigen. Mich fasziniert immer wieder der Gedanke: Wie würde sich Leben entwickeln, wenn es einen Planeten geben würde, auf dem es keine Landmasse gibt. Ich meine höher entwickelte Lebenseinheiten mit einem Bewusstsein. Leben, das sich unter Wasser entwickelt hat. Dieses Leben würden die Entdeckung der Gravitation sehr viel später machen, wenn überhaupt. Festes Land überhaupt zu denken und Schwerkraft zu erfahren wäre scheinbar unmöglich. Wegen solcher Gedankenexperimente bin ich davon überzeugt, dass unsere Realität auch in einer »Insel« gefangen ist, ich meine, dass wir praktisch in einem Hologramm leben und nicht nach Außen blicken können. Unser momentaner Entwicklungsstatus der Informationstechnologie zeigt aber schon in eine Blickrichtung hinter den Horizont dieser Insel. Ich sehe viele kleine Test-Settings, die neue Inselwelten als Spiel generieren. Autarke Inseln, die ihrerseits auch nichts von anderen Inseln bzw. »der Außenwelt« wissen. Realitäten, bestehend aus Avataren und exakten Kopien unserer Welt. Unsichere Zeiten werden auf uns zukommen, da die reale Realität immer weiter in den Hintergrund gedrängt wird. Und damit der Sprung zu einer dritten Referenz, zurück zum realen Flussraum. Ich gehöre der losen Gruppierung der »DoNAUTen« an. Wir haben einfache künstliche Inseln geschaffen, Schwimmkörper am Wasser, um praktisches, autarkes Leben zu trainieren. Auf dem Messschiff Eleonore haben wir 15 Jahre lang immer wieder Gäste beherbergt. Mit ihnen haben wir  uns dort zurückgezogen, um eine mögliche, andere Außenwelt zu referenzieren. Im Kontext Schiff zu erwähnen ist natürlich auch die Stubnitz, gegründet von Radio Subcom. Sie schwimmt seit 1992 in diesem kulturellen Kontext und ist nun in der HafenCity Hamburg verheftet. Sie sorgt dort natürlich für einen Kontrapunkt zur Hochkultur. All diese Inseln ermöglichen uns ein neues Denken. Sie schwimmen wie auf einem Planten ohne Land, mit einer Sehnsucht nach einer anderen Außenwelt. Nach diesem Ausflug in zurück zum Grund unseres Gesprächs. Die Ausstellung und der Lebensraum an der Donau. Vielleicht kannst Du uns noch genauer berichten, was die Besucher:innen erwartet.

Herwig Turk: Naja, das mündet leicht in Zerreden. Aber es gibt eine Geschichte, die wir eingearbeitet haben, einen Unfall von 1868, bei dem ein Dampfer, die Thetis, einen Schleppkahn bei Hochwasser durch die alte Holzbrücke in Linz gezogen hat. Dabei touchierte jener die Brücke, Kranzel und Steuerruder wurde durch die Querbalken der Brücke weggerissen und der »Schlepp« wurde steuerlos. Der »Schlepp« trieb in die Mitte des Stromes und, um den Dampfer nicht zu gefährden, musste das Tau gekappt werden. Um es kurz zu machen: der »Schlepp« legte sich quer, kollidierte mit der Brücke, dadurch stürzten in Folge das 6. und 7. Brückenjoch in sich zusammen, und einige Menschen wurden mitgerissen. Das Interessante an der Geschichte ist, dass sie mit einem Technologiewechsel sowohl in der Schifffahrt als auch im Brückenbau einhergeht, weil wegen diesem Unfall die Stadt sich entschloss, endlich eine eiserne Brücke auf vier Pfeilern zu errichten (1870-1872), die stabiler und für die Dampfschifffahrt geeignet war. Durch die Errichtung veränderte sich die Strömung der Donau unterhalb der Brücke, der Fabrikarm verlandete und damit verschwand die Strasserinsel, die über Jahrhunderte ein wichtiger Ort für die Stadt war.
Diese Erzählung zeigt sehr eindrücklich, wie neue Technologien und Materialien die Landschaft formen, sehr tief in den Stoffwechsel des Flusses eingreifen und dadurch Nebeneffekte erzeugen, an die niemand vorher gedacht hat. Wir verwenden diesen narrativen Strang, um in Materiallabore zu gehen. Die Balken und Seile kommen neben einem zerlegten Klappboot aus den 50er-Jahren zu liegen und dem Flachskelett eines Flussbarsches von 1828. Auch antizipierte Fossilien, in Steine gelasert, gruppieren sich um ein wissenschaftliches Video, Mehrkanal-Videoinstallationen und historische Fotografien begegnen einem Badeanzug aus Fischleder oder einer Jagdkarte, die aus Hirschleder-jacken und Hosen zusammengefügt wurde. Referenzierte Zeitalter, Wissenssysteme und Techniken verweisen auf Dynamik, Verformung, Umwandlung und Verwicklung. Es ist ein Angebot, den Fluss als vielschichtigem Wesen zu begegnen. Das erfreuliche an der Arbeit über Flüsse ist für mich, dass die Flussnetzwerke a là longue ihre Form wandeln werden, sich ein neues Bett suchen und neue Kreisläufe einleiten, ganz unbeeindruckt von den Zähmungsversuchen der Zweibeiner.

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Herwig Turk in Vertretung von: lueckenraum.at
Franz Xaver in Vertretung des Infolabs der STWST: i.stwst.at

 

Donau:Insel
Ausstellung Lentos Kunstmuseum
23. Februar – 5. Mai 2024

Industriezone, Naherholungsgebiet und sensibles Ökosystem – die Donau ist als überformte Kulturlandschaft von starken Gegensätzen geprägt. Die österreichischen Künstler Herwig Turk und Gebhard Sengmüller machen dies zum Ausgangspunkt ihrer künstlerischen Rechereche. Durch die Insel als künstlerische Denkfigur verbinden Turk und Sengmüller historische Gegebenheiten mit aktuellen gesellschaftspolitischen Diskursen rund um die Nutzbarmachung des Donauraums durch eine künstliche Insel in Zusammenarbeit mit Ortrun Veichtlbauer. lentos.at

Zusatzprogramm

07. März, 18 Uhr / Lentos
Podiumsdiskussion: Die Donau – ein gebauter Fluss

Expert*innen aus unterschiedlichen Disziplinen sprechen über die wechselhafte Geschichte der Donau, ihre industrielle Nutzung im Lauf der Zeit, sowie deren Einfluss auf Umwelt und Gesellschaft. Herwig Turk im Gespräch mit der Künstlerin Wiltrud Hackl, der Kulturwissenschaftlerin Julia Grillmayr und dem Umwelthistoriker Georg Stöger.

Termin / Ort - tba
Live-Diskussion auf dem Wasser: Donau, Inseln, Transformation und Autonomie
Initiativen und Künstler*innen, die sich in ihren Projekten mit der Donau beschäftigen, sprechen auf einem Schiff über ihre Arbeit. 

Teilnehmer*innen: Stadtwerkstatt Linz (86 Meter Donauufer, Deckdock, Tanja Brandmayr); Herwig Turk & Gebhard Sengmüller (Donau:Insel); Leo Schatzl (Floating Village); Julia Grillmayr, Christina Gruber und Sophia Rut (Lobau Listening Comprehensions); Messschiff Eleonore (Franz Xaver, Jan-Nahuel Jenny); time’s up (New New Atlantis); Christoph Wiesmayr (Schwemmland); Wiltrud Hackl (Wasserfrauen). 
Zu sehen auf: dorftv.at

[1] Informationen: www.lueckenraum.at
[2] siehe https://i.stwst.at

Aale in Europa (Bild: Creative Commons)

 

Aalhotel (Bild: Franz Xaver)