»Massenaktionen entstehen […] nicht dadurch, dass Theoretiker sich über ihre Bedeutung einigen und beschließen, dass es losgehen kann. Sie kommen empor aus der Notwendigkeit der Lage, durch das unmittelbare Empfinden der Massen, mögen wir sie wünschen oder nicht. Von unseren Diskussionen hängt nur ab, ob sie, statt instinktiv, mit klarem Bewusstsein ihres Wesens durchgeführt werden.« (Anton Pannekoek, Marxistische Theorie und revolutionäre Taktik, 1913) 

»The change, it had to come / We knew it all along / We were liberated from the fold, that’s all / And the world looks just the same / And history ain’t changed« (The Who, Won’t get fooled again, 1971) 

Jetzt gibt es hierzulande also wieder eine Debatte um den »Marxismus«. Es sollte genügen, diese mit einer – von Engels brieflich überlieferten – Bemerkung von Marx selbst zu kommentieren, die gemeinhin mit »wenn das Marxismus ist, bin ich kein Marxist« übersetzt wird. Denn tatsächlich erschöpft sich das, was als »Marxismus« perhorresziert wird, meist in der Forderung nach ein bisschen Umverteilung, einhergehend mit bassem Erstaunen darüber, dass flatus populi dennoch eher Richtung Pogrom weht, denn zur Befreiung hin. Das bedeutet nicht, dass keine verteidigenswerten zivilisatorischen Fortschritte existieren – allerdings sind diese nicht unabhängig von den Konstellation zu haben, in denen sie existieren. 

Die Oslo-Vereinbarungen vor 30 Jahren waren als Grundlage für einen dauerhaften Frieden im Nahen Osten eine sinnvolle Angelegenheit – die Gründe für ihr Scheitern analysiert Stephan Grigat. Auch erfolgreiche Kämpfe für die Rechte von Lesben, Schwulen, Inter- und Transpersonen zeigen, dass Verbesserungen tatsächlich erreichbar sind – das subversive (oder gar revolutionäre) Potential von Veranstaltungen wie Pride Parades sollte man aber nicht überschätzen, wie Tina Sanders in ihrem Beitrag argumentiert. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen prägen auch den Umgang mit Menschen, die ständiger Betreuung bedürfen – und das nicht unbedingt vorteilhaft. Paul Schuberth hat darüber mit Frédéric Valin gesprochen, der seine Erfahrungen im Roman »Ein Haus voller Wände« beschrieben hat. In Vorderasien wären diese Wände – nach exotistischer Vorstellung – samt und sonders mit Kelims verkleidet; wodurch sie sich schnell dem Verdacht des Orientalismus aussetzt. Richard Schuberth widmet sich im zweiten Teil der Artikelserie »Byron auf dem Diwan, Postkolonialis-mus auf der Couch« den diesbezüglichen Theorien Edward Saids und rückt sie grausam-gründlich zurecht. Kritischer Untersuchung bedarf auch der Umstand, dass sich im globalen Veranstaltungswesen lupenreine Monopolstrukturen herausgebildet haben, die Ticketing, Venues, Booking, etc. umfassen. Berthold Seliger zeigt dies am Beispiel von CTS Eventim/FPK Scorpio und Jörg Parnreiter fragt sich, warum die Stadt Linz da in Form des »Lido-Festivals« mitmachen muss. Oppositionelle Stimmen sind im Konzertbetrieb leider rar – mit Peter Brötzmann ist Ende Juni eine weitere verstummt; Andreas Fellinger erinnert an den Freejazz-Saxophonisten. Der Todestag Max Horkheimers jährte sich diesen Juli zum 50. Mal – Magnus Klaue legt dar, warum der Kritische Theoretiker und einstige Direktor des Frankfurter Instituts für Sozialforschung kaum ein intellektuelles Nachleben und nur wenige Schüler hatte. 

Das komplette zweite Buch dieser Ausgabe steht im Zusammenhang mit der diesjährigen Showcase-Extravaganza STWST48x9 COLD HEAVEN: die 48 Hours of Immersive Trash finden von 8-10. September wieder als STWST-Kunsthappening in and around the house statt. Darum gibt es Infos zum Programm, Texte zum Hype-Vokabel »Immersion« von Florian Huber und Mathias Müller, einen Beitrag zu Plastikmüll und Ressourcen-verbrauch von Michael Aschauer (der bei STWST48x9 mit seinen »Petrosculptures« vertreten ist), es gibt mögliche KI-Szenarien von Patrick Derieg, KI-Dialoge von Stefan Schmitzer, Überlegungen von Claudia Reiche zu ihrer Foto- und Videoinstallation »Over - Exercises in Death« … undundund: Kritik am proprietären Tech-Sprachgebrauch übt Aileen Derieg. Und Aimilia Liontou portraitiert die Arbeiten von Vo Ezn, die von servus.at zur diesjährigen Residency geladen wurde und deren Projekt ebenfalls während STWST48x9 präsentiert wird. Ein spezieller Hinweis hier für diejenigen, die während STWST48x9 im September in Linz weilen: Unbedingt beim »Bloodproof of Life« vorbeikommen, dort gibt dir die STWST dein Herzblut zurück. Und stellt die Fragen: Bist du echt? Lebt dein Leben?

Die Versorgerin 139 ist jedenfalls »leider wieder gut geworden« – um das Editorial der aktuellen Referentin zu zitieren. Das meint 

die Redaktion