Journalistischer Katechismus

Der Journalistische Katechismus ist eine Handreiche für all jene, die dauernd irgendwas mit Medien machen und darum keine Zeit haben, Machiavellis Il Principe zu lesen. Deshalb erscheint er auch häppchenweise in Serie.

Drittes Hauptstück: Von der innern Pressefreiheit und der Vertraulichkeit mit dem Verlag


Was ist die innere Pressefreiheit? 

Es ist die Pressefreiheit, die in der Redaktion gründet, von der Chefredaktion angeleitet, und auf Ressorts verwendet wird. Die 
»innere« heißt es darum, weil es die Pressmenschen innerhalb ihrer 
selbst beschäftigt hält.

Worin besteht die innere Pressefreiheit? 

In diesen drei Stücken: in der Einsammlung, in der Entsagung und in vielfältiger Uebung der verlegerischen Gottseligkeit. 

Was fordert die Einsammlung? 

Die Einsammlung besteht in der Redaktionskonferenz, wo die Themen künftiger Textprodukte festgelegt werden, die den Ergebnissen der Performance-Analysen vergangener Beiträge entsprechen. 

Wie weit muß sich die Entsagung erstrecken? 

Auf alle Güter, welche im Medienbetrieb gar zu gierig können verlangt und geliebt werden, besonders aber auf die, welche die journalistischen Grundbedürfnisse reizen und der Begierlichkeit dienen (Festanstellung, Entlohnung gemäß Kollektivvertrag ohne Tarifflucht durch Auslagerungen etc.); dann aber auch auf einige prestigeträchtige Güter (Aufmacher, Exklusivstory), woran fast alle Pressmenschen ein großes Wohlgefallen haben; endlich muß man sich sogar mäßigen im Verlangen nach editorischen Vortheilen (daß Beiträge nicht willkürlich vom Lektorat verhunzet werden). Denn wenngleich diese Güter zunächst erstrebenswert scheinen (sowohl individuell, als auch gesamtredaktionell), so müssen sie doch abgewogen werden, was die verlegerische Gottseligkeit belangt. 

Was wird unter der Uebung der verlegerischen Gottseligkeit verstanden? 

Die immerwährende Beschäftigung mit verlegerischen Gedanken. Denn das sensationellste bombshell reporting, der pathosgesättigste Kommentar, die rührendste Homestory zählen nichts vor IHM, wenn sie sich nicht in Reichweite, Engagement und damit letztlich in Auflagen- und Anzeigensteigerung übersetzen. Wer sich begehrte, zu sättigen von den Brosamen, die von des Reichen Tische fielen, wird sich mit den Hunden um sie balgen und sich die Schwären selbst lecken müssen. Denn wahrlich, ich sage euch: Der Honorar-Etat wird nicht mit schönen Worten gefüllt. Wer aber andererseits – selbst mit einfachen Mitteln wie dem Bildnis neugeborener Pandabären – die Klickzahlen steigert und den Bilanzgewinn auch nur im Kommabereich erhöht, wird nicht unbelohnt bleiben. Es ist im eigenen Interesse der Redaktion, den Verleger recht kennen zu lernen und mit IHM gleichsam einen vertraulichen Umgang anzuknüpfen. Zu diesem Ende muß man dafür sorgen, daß man eine genaue Kenntnis von den Handlungen seines Lebens und von allem, was Ihn betrifft, erhalte, so daß Gedächtnis, Verstand und Wille voll von der Mediengruppe seyen. Uebrigens kann man deren ganzes Leben in drei Zeiträume eintheilen. 

Die erste Zeit ist die ihrer Ankunft in der Welt und umfaßt die Verlagswerdung, Geburt des ersten Medienprodukts und dessen Aufwachsen zu einem Bestandteil öffentlicher Wahrnehmung. Wenn keine finanzstarken Companies Geburtshilfe leisten (etwa Hersteller von Koffein-Brause auf Basis von Ochsengalle), ist die »Kinder«sterblichkeit hierbei allerdings recht hoch und die Anzahl an Totgeburten beträchtlich. SLAPP-Klagen tun ihr Übriges dazu, die Lebensdauer von Schlüpflingen zu reduzieren (wenn es dann auch noch vom Zielpublikum zwar durch selbstverliebte Kommentare, nicht aber genügend finanziell unterstützt wird, versandet die Unternehmung zackzack zum Diskussions-Sumpf). 

Der zweite Zeitraum enthält die Ausprägung der Befriedigung zielgruppenspezifischer Bedürfnisse und die Erweiterung des Portfolios: So ist z.B. ein Franz Schellhorn nur bei oberflächlicher Betrachtung ein einfallsloser, aber devoter Propagandabüttel des Klassenkampfes von Unternehmer-seite. Wenn er in seiner Profil-Kolumne im Telefonsex-Jargon von »blutjungen Rentnern« und »entspannten Arbeitslosen« sermonisiert, wird offenkundig, dass derartige Verbal-Libertinage auf eine profunde Erotisierung des – ansonsten eintönigen und reizarmen – Dienstes am Automatischen Subjekt abzielt. Er erfüllt somit nicht nur die Interessen von Signa und der Raiffeisen-Gruppe als Herausgeber des Blattes, sondern verpasst darüber hinaus dem good old Manchester-Kapitalismus insgesamt ein sexy Image, das über ideologische Hilfestellung weit hinausgeht und sich bereits in die Höhen des Eskort-Gewerbes aufschwingt. Es folgt für unser frisch geschlüpftes Medienunternehmen der Eintritt in den selbstreferenziellen, konkurrenzgetriebenen Medienzirkel, in dem sich alle gegenseitig das Hinterteil beschnüffeln, die Nase aber dennoch in die Höhe recken. 

Der dritte Zeitraum ist der des Hinganges unsers Medienhauses zum Imperium. Hierher gehören seine anfänglichen Scharmützel mit Moral und Justiz, dessen Überwindung, und seine Übernahme des Meinungs-marktes, sowie großer Teile des politischen Systems. Die einen (Bertelsmann) nehmen die high-road vom Druck erbaulicher Literatur und Gesangsbüchern bis hin zur Gründung von Stiftungen, die das Hochschulsystem von Pesthölle (Ordinariensystem/Herrschaft blasierter Dumpf-Gummies) zum Cholerapool (Departmentsystem/Herrschaft 
manageriellen Yuppie-Scums) transformieren helfen (Centrum für Hochschulentwicklung). Andere (Fellner) scheuen vorm Kloakenbad auf keiner Stufe der Metamorphose zurück und walzen zielstrebig vom Teenie-Blättchen (Rennbahn-Express) zu Inseraten-Korruption und Politiker-Kauf (Österreich). 

Da könnte eingewandt werden, dass die monopolisierte und zentralisierte mediale Landschaft nichts als verschattetes Ödland ist und die media diet dementsprechend lediglich unterschiedliche Geschmacksrichtungen von Scheiße bietet, aber 1. wer sollte das sagen? und 2. gibt sich der Erfolg am besten selbst recht: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir von oben herab nicht gegeben wäre. 

 

Das kommende Vierte Hauptstück handelt von den journalistischen Tugenden.