Staatliche Hilfestellungen für Imperiengeschäfte

Berthold Seliger über den aktuellen Stand der Monopolstrukturen im Veranstaltungsgeschäft anhand von CTS Eventim und den politischen Unwillen, dagegen anzugehen.

CTS Eventim, oder die CTS Eventim AG & Co. KGaA, wie die Aktiengesellschaft korrekt firmiert, ist ein deutscher Großkonzern, der auf die Organisation von Veranstaltungen aller Art sowie auf den Vertrieb von Eintrittskarten für Kultur- und Sportveranstaltungen spezialisiert ist. CTS Eventim darf als drittgrößter Konzertveranstalter und zweitgrößter Tickethändler der Welt gelten. In seinem Heimatland hat der Konzern eine Quasi-Monopolisten-Rolle: In Deutschland kontrollieren CTS Eventim-Firmen heute mehr als zwei Drittel der großen Rock- und Pop-Festivals, eine Vielzahl der Großtourneen internationaler und nationaler Superstars und etwa 80 Prozent des Ticketings für Pop-, Rock- und Schlagerkonzerte. Klaus-Peter Schulenberg, Vorstandsvorsitzender und mit knapp 40 Prozent der Anteile Großaktionär der CTS Eventim AG, wurde binnen gerade einmal 17 Jahren Milliardär, aktuell wird sein Vermögen von der „Forbes-Reichstenliste der Welt“ auf 2,94 Mrd. € geschätzt, was ihn zu einem der reichsten Deutschen macht und auf Platz 905 der reichsten Menschen der Erde hievt.

 

Nicht vom Tellerwäscher, aber vom örtlichen Veranstalter des Schlagersängers Bernd Clüver und Bremer Anzeigenblättchen- und Call-Center-Betreiber zum Milliardär in nicht einmal zwei Jahrzehnten – wie geht so etwas? Allein die Zusammenarbeit mit dem noch unbekannten „Jungen mit der Mundharmonika“, den er mit 19 Jahren unter Vertrag nahm, kann es nicht gewesen sein. 1973 gründete Schulenberg, der eigentlich Wirtschaftsanwalt werden wollte und Jura und BWL studierte, in Bremen eine Künstlermanagement- und Konzertveranstaltungsfirma. 1977 führt er für den legendären Fritz Rau das Bremer Konzert der Rolling Stones durch. Doch Schulenberg setzt nicht nur auf das Musikgeschäft, er gründet oder übernimmt auch Unternehmen aus anderen Branchen, etwa erwähntes Call-Center, eine Messegesellschaft und regionale Anzeigenblätter. Schulenberg ist damit ein früher Vertreter einer „neuen Generation“ in der Musikindustrie – nicht in erster Linie ein Musikverrückter, der für die Musik einer bestimmten Band oder eines Genres „brennt“ und so zum Konzert- oder Tourneeveranstalter wird oder eine Plattenfirma gründet, wie es Jahrzehnte gängige Praxis war – sondern jemand, den vor allem neue Geschäftsmodelle interessieren. Nicht die Musik im Begriff „Music Business“ ist es, die Schulenberg interessiert, sondern das Geschäft, das Business.

 

Schulenberg ist denn auch einer der ersten in Europa, der die Chancen im Ticketing-Geschäft erkennt. Vermutlich hat er sehr genau die Entwicklungen auf dem US-amerikanischen Konzert- und Ticketing-Markt studiert, wo seit den frühen 80er Jahren der Ticketverkauf für Veranstaltungen aller Art revolutioniert wurde. Früher hatten Spielstätten oder Stadions vor Ort Eintrittskarten zu ihrem realen Preis, also ohne Zusatzgebühren, verkauft. Später kamen Computer ins Spiel, die aber zunächst nur zur Vereinfachung des Ticketings verwendet wurden – die Veranstalter lizensierten lediglich die Ticketing-Software. Das Konzept, das gesamte Hard- und Softwarepaket an die Kunden zu vermieten und sie dazu zu zwingen, das gesamte Kartenkontingent per Computer zu verkaufen, wurde seinerzeit von Ticketmaster erfunden und in den USA umgesetzt. Plötzlich gab es keine Eintrittskarten mehr ohne Bearbeitungsgebühr. Hier wurde die Grundlage für das hochprofitable Ticketinggeschäft gelegt, wie wir es heute kennen – ein Milliardenmarkt!

 

1996 kauft Schulenberg die defizitäre Ticketing-Firma CTS GmbH von den Tourneeveranstaltern Marek Lieberberg, Matthias Hoffmann und Marcel Avram. Schulenberg sanierte den Laden und schrieb bereits ein Jahr später schwarze Zahlen mit CTS, dem „Computer Ticket Service“. Im Jahr 2000 brachte Schulenberg unter dem Namen „CTS Eventim“ an die Börse.
Mit dem Cashflow aus dem Börsengang stand Schulenberg und seiner jungen Aktiengesellschaft neues Kapital zur Verfügung, das investiert werden konnte. Zunächst plante Schulenberg, 12 Millionen D-Mark in eine umfassende Werbekampagne für seine Kartenfirma zu stecken, um Kunden auf die Websites des Unternehmens zu locken. Doch das Konzept ging nicht auf, die AG hatte 2 Millionen DM ausgegeben und keinen Mehrumsatz gemacht. Schulenberg stellte die teure Werbekampagne ein. Stattdessen investierte er den zweistelligen Millionenbetrag, der übriggeblieben war, in Konzert- und Ticketfirmen – Wachstum durch Übernahmen. Schulenberg kaufte Kartenportale, vor allem aber Konzertveranstalter, und zwar die größten und renommiertesten. Unter anderem den Marktführer, die Marek Lieberberg Konzertagentur, sowie Semmel Concerts, Peter Rieger, Dirk Becker oder später FKP Scorpio. Diese Zukäufe waren für Schulenberg der „einfachste Weg, die Marke CTS Eventim an die Künstler zu bringen“. Mit seinen mehr als 30 Firmenübernahmen hat Schulenberg aus einer Firma mit einst 6,5 Millionen D-Mark Umsatz ein Milliardenimperium mit 2022 knapp 2 Milliarden Euro Umsatz aufgebaut, das den Ticketmarkt für Konzerte, Events und Sportveranstaltungen in Deutschland dominiert und auch in ganz Europa mitbeherrscht und gleichzeitig im europäischen Konzert-Monopoly mit Live Nation ein Duopol bildet.

 

Denn das ist das eigentlich Verhängnisvolle an Großkonzernen wie CTS Eventim oder Live Nation/Ticketmaster: Sie beherrschen nicht nur das äußerst profitable Ticketinggeschäft mit den Superprofiten (CTS Eventim meldete im Ticketing 2022 eine Gewinnquote/EBITDA von 48,7%; bei Live Nation sind es immerhin noch 37,0%), sondern auch das ursprüngliche Kerngeschäft, die Live-Veranstaltungen (allerdings mit deutlich geringerem Gewinn: nur 8,6% bei CTS Eventim, gar nur 1,3% bei Live Nation). Faktisch haben die Ticketkonzerne (bzw. die Ticketingabteilungen der Live Entertainment-Konzerne) die Macht im Konzertgeschäft übernommen. Und mit den Gewinnen aus dem Ticketing können die Konzerne weitere Tournee- und Konzertveranstalter, Veranstaltungsorte und natürlich auch Ticketingfirmen in aller Welt aufkaufen und ihre Vormachtstellung weiter zementieren.

 

Genau hierin liegt das Problem: Konzerne wie CTS Eventim verfügen über vertikale und horizontale Monopole. Doch die Monopol- oder Duopol-Bildung in einem Markt ist ja kein Naturgesetz. Vielleicht ist es einer der größten Fehler der Linken, dass wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten so viel vom „Markt“ im Neoliberalismus gesprochen haben, und zu wenig vom Staat, der dem gnadenlosen Finanzkapitalismus unserer Tage bereitwillig das Regelwerk zur Verfügung stellt, vom Staat also, der den Neoliberalismus erst möglich macht. Es ist ja, wie wir von Deleuze/Guattari wissen, ein Irrglaube, dass der Kapitalismus jemals liberal gewesen sei; er war immer ein „Staatskapitalismus“. Der Kapitalismus lebt vom Bündnis zwischen Staat und Kapital. Der vermeintliche „Minimalstaat“ der sogenannten Liberalen ist in Wahrheit ein Maximalstaat, den sie benötigen, um die Zurichtung der Gesellschaft zugunsten des Kapitals durchzusetzen. „Die Wirtschaft schafft das öffentliche Recht!“ (Foucault) Und „niemals zuvor hat ein Staat in solchem Ausmaß an Macht und Stärke verloren und sich mit ebensolcher Gewalt in den Dienst der ökonomischen Macht gestellt.“ (Deleuze/Guattari)

 

Was hat der „Staat“ und das „öffentliche Recht“ mit der Monopolbildung im Konzertgeschäft zu tun? Sehr viel. Erst durch ein relativ zahnloses Kartellrecht in Deutschland konnte CTS Eventim zahlreiche Firmen aufkaufen. Und wenn das Kartellrecht doch einmal dem Imperiengeschäft von CTS Eventim entgegenstand, trickste der Konzern, etwa beim Erwerb des zweitgrößten Tickethändlers „Ticket Online“ im Jahr 2011, als das Bundeskartellamt festgestellt hatte, dass CTS Eventim durch den Erwerb des größten Konkurrenten eine „möglicherweise marktbeherrschende Stellung“ ausüben werde und „erhebliche horizontale Überschneidungen“ zu erwarten seien. Dann hat CTS Eventim vor dem Erwerb von Ticket Online mal flugs seinen Geschäftsanteil an der FKP Scorpio Konzertproduktionen GmbH veräußert, um unter der in den gesetzlichen Fusionskontrollvorschriften damals festgeschriebenen Umsatzgrenze von 500 Millionen Euro zu bleiben. Nachdem die Fusion mit Ticket Online abgewickelt und letztlich vom Kartellamt genehmigt worden war, hat CTS Eventim prompt wieder erhebliche Anteile an FKP Scorpio erworben und zu einer Mehrheitsbeteiligung ausgebaut.

 

Oder im Jahr 2017, als die CTS Eventim-Gruppe den renommierten Tour- und Konzertveranstalter Four Artists, 1997 von Mitgliedern der „Fantastischen Vier“ mitgegründet, übernehmen wollte. Doch das Kartellamt untersagte den Kauf, das „Zusammenschlussverfahren“, wie es kartellrechtlich heißt, wurde „untersagt“ mit der aufschlussreichen Begründung: „Eine marktbeherrschende Stellung von CTS besteht sowohl auf der Veranstalterseite als auch auf der VVK-Seite des bundesweiten Marktes für Ticketsystemdienstleistungen." „Der Deal war futsch“, erklärte Mitbesitzer Smudo, „wir konnten bei Eventim nicht unterschreiben und sind unabhängig geblieben." Bis im Herbst 2019. Da kündigten plötzlich der Geschäftsführer der Agentur und weitere 27 der 45 Mitarbeiter:innen. Um 2020 in der neugegründeten „All Artists Agency“ wieder aufzutauchen, die eine „ganzheitliche und vollumfängliche Betreuung“ ihrer Acts postuliert – der Künstlerstamm ist weitgehend mit dem ursprünglichen von Four Artists identisch (u.a. Seeed, Scooter, Max Herre, Patrice), und – Überraschung! –, CTS Eventim hält die Mehrheit an dem neuen Unternehmen. Smudo dazu: „Unsere Firma wurde geklaut.“

 

Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelte zwar gegen ehemalige Mitarbeiter:innen von Four Artists, aber auch gegen CTS Eventim-CEO Schulenberg, wegen des Vorwurfs der Untreue und Verletzung von Geschäftsgeheimnissen. Natürlich ergebnislos, wenn auch mit Bedauern. In einem vom Bayerischen Rundfunk in Teilen veröffentlichten Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft Berlin heißt es: „Tatsächlich fällt nach außen hin auf, dass nach Scheitern der geplanten Übernahme der Four Artists durch die CTS Eventim Gruppe durch die Untersagungsverfügung des Bundeskartellamtes, eine faktische Verlagerung von Teilen der Gesellschaft auf die […] All Artists Agency stattgefunden hat." Und das Bundeskartellamt reagierte auf die Trickserei des Konzerns: „Für den Wettbewerb ist es in der Tat bedauerlich, dass die Wirkung der Untersagungsverfügung […] offenbar ein Stück weit unterlaufen werden konnte."

 

„Ein Stück weit“… Wie gesagt: „Die Wirtschaft schafft das öffentliche Recht“ und richtet es so zu, dass sie im Zweifelsfall tun kann, was sie will.

 

Es fällt auf, dass in Ländern wie Deutschland oder Österreich die Großkonzerne der Kulturindustrie nicht nur weitgehend ungestraft so agieren können, wie es ihnen beliebt, sondern dass sie letztlich sogar von Institutionen und Betrieben der öffentlichen Hand hofiert werden. Was wenig bekannt ist: CTS Eventim erledigt für die meisten öffentlichen Kulturinstitutionen den Vorverkauf, also für Museen, Konzerthäuser, Philharmonien oder Opernhäuser. Und wenn versucht wird, dieses äußerst profitable und risikolose Geschäftsmodell zum Beispiel in kommunale Hände zu überführen, etwa durch ein für die Besucher:innen günstigeres kommunales Ticketing, lautet die Antwort der Kulturfunktionär:innen unisono: Bloß nicht! Ist doch so praktisch mit den Ticketingkonzernen!

 

Und sicher ist es auch nicht von Nachteil, dass dort, wo eigentlich eine demokratische Kulturarbeit organisiert werden sollte, nämlich im Büro der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, wie das Staatsministerium für Kultur heißt, als leitende Regierungsdirektorin eine gewisse Juliane Schulenberg sitzt, die Adoptivtochter des CTS Eventim-Bosses Klaus-Peter Schulenberg. Diese Juliane Schulenberg sitzt gleichzeitig im Aufsichtsrat des CTS Eventim-Konzerns. CTS Eventim erhielt während der Corona-Pandemie übrigens insgesamt über 272 Millionen Euro staatliche Finanzhilfen (davon mehr als 15 Millionen von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien…) – während Musiker:innen, Veranstalter:innen, Agenturen, Clubs und Venues ums Überleben kämpften und unter größtem bürokratischen Aufwand vergleichsweise geringe Corona-Hilfen erhielten. Und den Fans hat man selbst bei ausgefallenen Konzerten die teuren Vorverkaufsgebühren nicht erstattet, wogegen die Verbraucherzentrale eine Musterfeststellungsklage eingereicht hat. Prognose: Auch diesmal wird CTS Eventim mit seinen dubiosen und moralisch verwerflichen, aber letztlich durch das Gesetz gedeckten Geschäftspraktiken durchkommen…

 

Während selbst im wohl kapitalistischsten Staat der Erde die Großkonzerne der Kulturindustrie von der Politik massiv kontrolliert werden und im Fall unseriöser Geschäftspraktiken massiv unter Druck gesetzt und in Einzelfällen sogar zerschlagen werden, und während US-Präsident Biden mehrfach öffentlich größere Transparenz im Ticketing und den Verzicht auf Zusatzgebühren angemahnt hat (und der weltgrößte Konzertgigant Live Nation derart unter Druck geraten mit seiner Tochter Ticketmaster tatsächlich bereits „All in“-Preise für Konzerttickets zugesagt hat), verschlafen die größtenteils bräsigen Politiker:innen und Kulturfunktionär:innen in Deutschland, Österreich oder der Schweiz entsprechende Aktionen nicht nur, nein, sie hofieren auch weiterhin die Großkonzerne des Konzertgeschäfts und ermöglichen wohlwollend deren Imperiengeschäfte.

 

Was bleibt? Gilles Deleuze wusste eine Lösung: „Das, was am Kapitalismus noch demokratisch ist, hat weder mit dem Liberalismus noch mit dem Kapital zu tun, sondern hängt einzig und allein vom Kampf und dem Widerstand der „Regierten“ ab.“