Die Kunst der Antennenwälder und Wellenozeane

Anlässlich des Signal+ Camp Radiotopia in Taiwan, zu dem auch die STWST eingeladen wurde, haben wir Daniela Silvestrin um einen Beitrag zu Radiokunst und elektromagnetischem Raum gebeten.

Im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg prangte bis vor ein paar Jahren am oberen Rand einer Brandmauer der schon von Weitem lesbare Schriftzug: »Allet Gute kommt von oben«, — direkt unter einem in den Himmel ragenden, besonders großen Mobilfunkmast. Der Schriftzug wurde inzwischen durch ein neues Wohnhaus verdeckt, wie so viel Graffitikunst und Urban Art, die der Gentrifizierung und dem Ausverkauf der Stadt zum Opfer fallen. Der Mobilfunkmast aber thront nach wie vor auf dem Hausdach und überblickt den Kiez.

Die Infrastruktur unserer mobilen Telekommunikation – von Antennen und Satellitenschüsseln bis zu Sensoren und Glasfaserkabeln – ist heute so allgegenwärtig, dass sie einer künstlichen Natur gleicht. Unsere Vorstellungen von Natur und Technologie sind untrennbar miteinander verwoben, auch wenn sie oft getrennt diskutiert werden. Antennen veranschaulichen diese Verbindung besonders deutlich: Entwickelt, um die menschliche Kommunikation zu erleichtern, machen sie sich die Eigen-schaft von Metallen zunutze, elektromagnetische Wellen zu empfangen und zu übertragen. Sie sind nicht mehr wegzudenken aus unserer Umgebung, bleiben aber – ähnlich wie Windräder – für viele ein störendes Symbol des technischen Fortschritts.

Ob aktiv oder passiv, wir senden und empfangen immer mehr Daten. Wir haben die Luft um uns herum in so etwas wie die teils fünfzigspurige Peking-Hongkong-Macau-Autobahn verwandelt, auf der Informationen mit Lichtgeschwindigkeit auf elektromagnetischen Wellen übertragen werden — mit exponentiellem Ausbau durch die Einführung der neuen Mobilfunkgeneration 5G und der damit einhergehenden, stark wachsenden Anzahl vernetzter »smarter« Geräte. Studien warnten früh vor Kapazitätsgrenzen der Mobilfunknetze, besonders in Städten; dank einer höheren Dichte an Funkantennen, breiteren Frequenzbereichen, geringeren Latenzzeiten und schnelleren Übertragungsraten soll 5G die steigenden Anforderungen bewältigen. Die neue Technologie ermöglicht es, erheblich mehr Endgeräte gleichzeitig zu verbinden und verschiedenste »smarte« Geräte und Sensoren noch besser miteinander zu vernetzen. Weltweit sollen schon bald über 50 Milliarden Endgeräte und pro Quadratkilometer bis zu 1000-mal mehr Geräte vernetzt werden können. 

Bereits 2014 wurde die durch den Menschen erzeugte elektromagnetische Strahlung auf das 1018-fache der natürlichen Strahlung geschätzt. Der Mensch hat keine andere Umgebung in solch monumentaler Weise verändert. Der Philosoph Timothy Morton beschreibt solch globale, nicht (be)greifbare Phänomene als »Hyperobjekte« — also etwas, das so gewaltig in Zeit und Raum verteilt ist, dass es für den menschlichen Verstand schwer zu fassen ist. Ein Ozean elektromagnetischer Wellen umhüllt unseren Planeten, durchdringt Körper und Gebäude und formt eine unsichtbare, allgegenwärtige Atmosphäre — wenn unsere Augen in der Lage wären, diesen wahrzunehmen, würde es vielleicht ein wenig so aussehen, wie das, was Caspar David Friedrichs Wanderer über dem Nebelmeer von seinem hohen Aussichtspunkt sah, nachdem er einen Berg erklommen hat, der hoch genug war, um der nebligen Suppe zu entkommen.

Gesellschaftlich werden Antennen als notwendiges Übel des technischen Fortschritts geduldet oder abgelehnt. Für Künstler*innen hingegen sind sie (als Objekte, aber auch in ihrer Funktionalität und formlosen Dimension der Wellen und Signale) Inspiration, um den unsichtbaren »Hertzianischen Raum« ästhetisch und konzeptionell erfahrbar zu machen und seine politischen, gesellschaftlichen und ökologischen Dimensionen zu hinterfragen.  

Die Größe einer Antenne hängt direkt mit der Wellenlänge der übertragenen Frequenz zusammen: Höhere Frequenzen erfordern kleinere Antennen, niedrigere benötigen größere. Damit ergibt sich eine erstaunliche Vielfalt an unterschiedlichsten Größen und Formen von Antennen für verschiedene Frequenzbereiche und Funktionen. Aber erst der künstlerische Impuls, Verborgenes oder Unsichtbares sichtbar zu machen, lässt hier eine ganz neuartige, synthetische Landschaft und Natur wahrnehmbar werden: In seinem Projekt »Transmission« macht der Fotograf Bertram Kober eine Art Phänomenologie und Geobotanik von Antennenmasten und -anlagen in ländlichen wie städtischen Landschaften sichtbar, die durch deren Dokumentation zu entstehen scheint. Antennenwälder aus Mastanlagen auf Bergkuppen, an Schilfruten erinnernde filigrane Yagi-Antennen und pilzartige Ansammlungen runder Richtfunkantennen auf Hausdächern, riesige Parabolantennen von Erdfunkstellen, die benachbarte Bauten und Landschaften in den Schatten stellen. Robert Voit setzt in seinen Fotografien der Serie »New Trees« den Fokus speziell auf ein Arboretum von als Bäume getarnten Mobilfunkmasten, die in ihrer Camouflage als Laub- und Nadelbäume, Pinien, Palmen und Riesenkakteen die Gefahren von Elektrosmog kompensieren sollen.

Im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung mit Antennen stehen diese aber schon seit Beginn der Radiotechnologie als Grundlage für Radioübertragung. Schon bald nach den ersten erfolgreichen Übertragungen von Sprache zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen weltweit die ersten DIY-Radio-Enthusiast*innen ihre eigenen Empfangs- und Sendestationen zu bauen. Radio konnte sich dem Ausmass der Kommerzialisierung und Regulierung des Fernsehens entziehen (es gibt bis heute keine vergleichbare Verbreitung freier Fernsehkunst oder -übertragungen) und spielt heute noch in politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen eine wichtige Rolle in Form legaler Freier Community Radiobewegungen, in Grauzonen der Legalität verorteten Micro-FM Übertragungen oder auch aktivistischer Piratenradiosender — aber auch in künstlerischen Projekten. Radio bedeutet Entgrenzung. Klänge und Stimmen durchqueren die Welt, und es liegt an den Zuhörern, wie sie damit umgehen. Der Künstler gibt die Kontrolle aus der Hand. »Radiokunst« ist ein Genre für sich, das eine Vielzahl von Praktiken vereint: von der Übertragung künstlerischer Inhalte und Formate bis hin zum »Radio ohne Zuhörer« des japanischen Radiokunst-Pioniers Tetsuo Kogawa, der das Hörbarmachen und die Übertragung von Interferenzen selbst gebauter Antennen oder auch den Einbezug von Körpern und der Natur als Empfänger von Radiowellen als Kunstform entscheidend geprägt hat.

Vor allem aber die oben schon beschriebene Unsichtbarkeit der uns umspülenden Wellenozeane als Trägermedium unserer drahtlosen Telekommunikation stellt eine ästhetische Herausforderung in der Kunst dar. Schon der Physiker Richard Feynman hat dargelegt, wie schwer oder gar unmöglich es ist, eine Vorstellung von der Natur und Bewegung eines elektromagnetischen Signals zu bekommen, die der Realität auch nur nahe kommt. Kunst, und vor allem Medienkunst, hat sich dieser Herausforderung immer wieder gestellt und Wege gefunden, über Visualisierung, Übersetzung in Klang, konzeptuelle Ansätze bis hin zu körperlicher Auseinandersetzung poetische bis konfrontative Zugänge zu dieser, uns sonst unzugänglich bleibenden Dimension unserer Umwelt zu schaffen. Während die Sonifizierung des unsichtbaren Phänomens eine häufiger zu findende künstlerische Strategie und Praxis ist, sind Versuche der Sichtbarmachung oder andere Arten der Verkörperung von Signalen und Wellen selbst schon seltener. Arbeiten wie Timo Arnalls Projekt Immaterials stellten so einen künstlerischen Versuch dar, durch Fotografie, Animation und Light Painting unsichtbare elektromagnetische Felder wie RFID oder aber die Präsenz von WiFi Netzwerken im urbanen Raum sichtbar zu machen. In ihrem Workshop Embodying Electromagnetic Expression als Teil der Veranstaltungsreihe Von Antennenwäldern und Wellenozeanen entwickelten Sarah Grant und Danja Vasiliev eine an Fluxus-Performances erinnernde performative Aktion, deren Ziel es war, zusammen mit den Teilnehmer*innen eine Vorstellung von elektromagnetischen Signalen zu entwickeln, indem sie sich als verkörperte Signale durch die Stadt bewegten. Ausgangspunkt bildete die Frage, wie es wäre, selbst ein solches Signal zu sein, indem sie z.B. an Wänden abprallten oder von Oberflächen absorbiert wurden, um so am eigenen Körper zu erfahren, wie Strahlung mit der Umwelt interagiert und beeinflusst wird.

Auch die Frage, wie und in welchem Ausmaß menschliche und nicht-menschliche Körper selbst von diesen neuen extremen Umwelteinflüssen betroffen sind, spielen bei Medienkünstler*innen immer wieder eine Rolle. Die Auswirkungen nicht-ionisierender elektromagnetischer Wellen, wie sie für unsere Mobilfunktechnologie eingesetzt werden, wurden erforscht und getestet, aber die Frage nach der Sicherheit der aktuellen Grenzwerte für den menschlichen Organismus bleibt umstritten. Künstlerisch gearbeitet wird daher immer wieder auch mit Konzepten der Abschirmung und der Unterbrechung des kontinuierlichen Ausgesetzseins, basierend auf dem Konzept das Faraday’schen Käfigs. Während der Faraday Chair von Dunne & Raby nicht funktional ist und als Prototyp eher den Vorschlag für einen (vor allem psychologisch funktionierenden) Rückzugsort darstellt, an dem man sich vor elektromagnetischen Emissionen schützen kann, bietet die in Basel inmitten der Zuggleise stehende Signal Box der Architekten Herzog & de Meuron echte Abschirmung gegen elektromagnetische Signale. Das Gebäude enthält elektronische Geräte zur Steuerung von Weichen und Signalen der Bahn; durch eine Kupferummantelung wirkt das Gebäude als Faraday’scher Käfig, um sein Inneres vor ungewollten äußeren Einflüssen zu schützen und macht dies durch seine besondere Hülle auch auf skulpturale Weise deutlich.

Philosoph Paul Virilio argumentiert, dass die rasante Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts dazu führt, dass Menschen oft nur noch reaktiv handeln, anstatt proaktiv zu agieren. Er betont, dass die Geschwindigkeit des technologischen Fortschritts und die damit verbundenen Veränderungen die Fähigkeit des Individuums und der Gesellschaft einschränken, vorausschauend zu denken und zu planen. Künstler können hier selbst als Antennen für die unterschwelligen Signale, Vibrationen und Erschütterungen durch Verschiebungen in den tektonischen Schichten der Gesellschaft und der menschlichen Beziehungen in der Welt fungieren. Ihre Kunst eröffnet neue Zugänge zur Wahrnehmung und hilft, Orientierung im Umgang mit politischen, soziokulturellen und ökologischen Herausforderungen zu finden.

 

STWST @ Signal+ Camp Radiotopia
C-Lab, Taiwan, 11.-13. April 2025

Das Signal+ Camp Radiotopia findet im April 2025 in Taiwan im Space C-LAB statt – die STWST wurde eingeladen, teilzunehmen. 

Das 3-tägige Camp SIGNAL+ versammelt Künstler:innen aus Europa und Taiwan, um neue Wege der Auseinandersetzung mit Radiokunst und dem elektromagnetischen Spektrum aufzeigen. Das Projekt thematisiert Signale, Übertragungen und den elektromagnetischen Raum. Das Camp steht auch als Metapher für Methoden, die sich auf nachhaltige Weise mit Technologie auseinandersetzen.

Für die STWST sendet das Infolab über zwei Bakensender aus Linz nach Taiwan. Es verbreitet in regelmäßigen Abständen digitale Signale ohne Internetverbindung rund um den Globus. Es sendet wie ein Leuchtturm Signale in das babylonische Informationsgewirr. Ziel ist es, Alternativen zum bestehenden Internet aufzuzeigen und direkte, unabhängige Kontakte zu fördern. Neben anderen Arbeiten und Herangehensweisen wird das Infolab im Kontext von Radiokunst in Taiwan thematisiert.

Initiiert wurde das Projekt Signal+ Camp Radiotopia von APO33 (Nantes/FR) im Rahmen der längerfristigen Reihe TOOLKIT OF CARE. Teilnehmende Künstler und Kuratoren aus Europa sind viele Künstler:innen und Produzent:innen, die bereits mehrfach mit der STWST zusammengearbeitet haben. 

Das Line-up: Marinos Koutsomichalis (Universität Zypern), Julien Ottavi und Jenny Pickett (APO33, Nantes/FR), taro klemens knopp, Jan Nahuel Jenny, Franz Xaver (STWST, AT); Adriana Knouf, PhD (NL/US), Daniela Silvestrin (DE), Kevin Bartoli (∏-node, Fr). Shu Lea Cheang (TAIWAN/USA/FR) organisiert in Taiwan. Die Künstler:innen aus Taiwan stehen noch nicht fest.