Ist sich an der Gitarre festhalten schon Performance?

Eine Band, die gerne im ZDF-Fernsehgarten auftreten würde, die es aber gar nicht wirklich gibt: Über »The Curators« schreibt Günther Ziehlinger.

In der englischen Wikipedia gibt es die Kategorie »Fictional musical groups«. Dort finden sich Bands, die es so nicht gibt, die aber einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben. Z.B. die Sgt. Pepper‘s Lonely Hearts Club Band, die nur auf dem Cover des achten Studioalbums der Beatles existiert. Oder die Camel Lips, die in der schwarzen US-Komödie Serial Mum aus dem Jahr 1994 auftreten. Der Song und die Musikerinnen stammen jedoch von der kalifornischen Punkrock-Band L7. Auch viele andere dieser fiktionalen Bands stehen in Zusammenhang mit Filmen oder Fernsehserien.

Performance in der TV-Show 

In Linz gibt es die Band The Curators. Und auch wenn manche Leute davon überzeugt sind, dass sie The Curators live auf einem Konzert gesehen haben, so ist diese Band doch fiktional. Sie existiert nur auf Bildern und in Zusammenhang mit einer Fernsehshow.

 

 

Nicht in einer Band zu spielen, sondern eine Band zu spielen eröffnet Möglichkeiten der performativen Darstellung. Nicht die Musik steht im Mittelpunkt, sondern die Optik. Also Bühnenperformance und Image. Dabei bedienen sich The Curators mittels Hardcore-Eklektizismus aus einem reichhaltigen, spätkapitalistischen Fundus an Trash-Bildern, um diese glaubhaft zu reproduzieren. The Curators überzeugen im Boygroup-Stil, als Metal- oder Punkband und im volkstümlichen Biedermeier. 

Neben dem Wunsch, Bandfotos zu produzieren und einmal als Vorband, die dann gar nicht spielt, auf einem Konzertplakat zu stehen, wurden The Curators aber primär als Marketing-Schmäh für eine Fernsehshow gegründet. Und der Name ist Programm. Die vier in der Band sind nämlich Kurator:innen. Sie stehen hinter der Fernsehshow Art Discount 24 auf DorfTV. Malina Mertlitsch und Jacqueline Böhm machen die Regie und die Produktion, Paul Riedmann und Clemens Stöttinger moderieren. Gemeinsam hecken sie die Ideen aus und kuratieren. Und zwar die Kunst, die in der Sendung gezeigt wird.

Das Prinzip von Art Discount 24 ist retro und neu zugleich. Im Teleshoppingformat werden Kunstwerke aus Linz und Umgebung angeboten und auch erfolgreich verkauft. Die Intention dazu war der Wunsch, dem reichhaltigen Schaffen in Linz eine Bühne zu bieten und Künstler:innen (meist aus dem Kunstuni-Milieu und der Freien Szene) eine Bezahlung zukommen lassen zu können. Die wohl einzige reale Komponente in diesem Spektakel voller Fake und Satire. 

Zunächst war die parodistische Verkaufsshow nur auf Exponate der Bildenden Kunst ausgerichtet und auch meistens am Ende der Sendung ausverkauft. Doch das hiesige Kunstschaffen ist nicht nur auf diesem Sektor herzeigbar, Linz ist auch weiterhin eine Stadt, in der es viel Underground-Musik gibt.

 

 

ChartDiscount

Aus Art Discount wurde kurzerhand Chart Discount. Die vier Protagonist:innen veränderten ihr TV Format großflächig, blieben 
aber der Grundidee treu: Kunst über das Fernsehen zu verkaufen. Bei ChartDiscount werden zwar keine Anrufer:innen in die Sendung eingespielt, dafür ist das zu erwerbende Produkt nicht nur als Einzelexemplar erhältlich. Verkauft wird ein Sampler mit allen auftretenden Bands. 

Die Sendung selbst ist aber kein Linzer Songcontest, sondern orientiert sich am Format Chartshow. An Sendungen wie die ZDF-Hitparade oder Top of the Pops der BBC. Der ZDF-Fernsehgarten war auch eine Inspiration. Eigentlich alles, wo mit Playback gearbeitet wird. 

Playback, oder Lip Sync, wie es heutzutage heißt, bietet den Musiker:innen die Chance, sich voll auf den Aspekt der optischen Präsenz zu konzentrieren. Hier geben The Curators die Maßstäbe vor. Neben den Fotoshootings für die Bandposter und -pickerl ist die Präsentation auf der Bühne das Hauptanliegen der Combo. Zu der von KI und befreundeten Künstler:innen erstellten Musik kreieren The Curators ein bewegtes Bild, das in seiner Choreografie und zur Schau gestellten Fröhlichkeit den Idolen im ZDF-Fernsehgarten möglichst nahe kommen soll. Das Kunstwerk liegt in der Performance, nicht in der Musik.

Für das Teilnehmer:innenfeld der zwei Shows, die bis jetzt über die Bühne gegangen sind, ist das jedoch eine ganz andere Sache. In Linz Popmusik zu machen, bedeutet, Musik zu produzieren und nicht Performancekunst zu betreiben (mit Ausnahme von Fuckhead natürlich). Noch nie hat es eine Band aus der Stahlstadt geschafft, in Sphären vorzudringen, wo es um eine marktgerechte Inszenierung für das Fernsehen ging. Bei ChartDiscount müssen sich die Musiker:innen dieser Herausforderung nun stellen. Sie spielen nicht ihre Musik, sondern sich selbst. Es geht plötzlich darum, sich selbst so dazustellen, wie eins gerne auf der Bühne gesehen werden will. Und auch ein bisschen darum, die Verkaufszahlen des Samplers in die Höhe zu treiben.

Die Ergebnisse sind unterschiedlich. Während die einen das Potenzial voll ausnutzen und zu performativen Höchstleistungen auflaufen, sind andere überfordert, wissen plötzlich nicht, was sie ohne Fokus auf die Musik machen sollen, konzentrieren sich aufs Playback, falls sie singen, oder halten sich an ihren Instrumenten fest und machen das, was sie gewohnt sind zu tun. Spaß macht es jedenfalls allen, und dass dieses Motiv im Mittelpunkt steht, ist dem Format anzumerken. Positiv gemeint, denn das Ergebnis lässt sich sehen. Der Do-it-yourself-Charakter macht das Ganze äußerst charmant. 

 

 

Neben den Bands und den Solo-Acts brillieren die beiden Moderatoren, Paul Riedmann und Clemens Stöttinger, die nicht nur als Curators auf der Bühne stehen, sondern jeden Act ansagen, interviewen und dazwischen versuchen, den Sampler oder das Band-Merch an das TV-Publikum zu verkaufen. Auch die Moderation ist Performance und die Bühnendekoration Teil davon. Das sieht zum Beispiel so aus: In der ersten Hälfte der Show ist die Bühne mit einem Bergpanorama aus Karton verziert. The Curators eröffnen die Sendung in Tracht gekleidet. Lederhosen, Dirndlkleider, ein aus Holz geflochtenes Herz und eine Plastikkuh. Art Discount im Jodlerstil, wie Dieter Wieland sagen würde. Nach einer Umbaupause dominiert plötzlich der Punk, sowohl beim Kostüm als auch bei der Bühnen-Deko. Die Darbietungen bleiben weiter authentisch performativ. ChartDiscount ist ein TV-Format, das genau so auch für den Charakter von DorfTV steht. Die Sendung erinnert in ihrem Enthusiasmus und dem effektiven Einsatz der bescheidenen Mittel an pionierhafte Fernsehexperimente der 1990er Jahre, wie etwa Vivasion im deutschen Musikfernsehen, Montevideo auf ORF aber auch STWST TV

ChartDiscount wurde bereits zweimal live in der KAPU produziert und auf DorfTV ausgestrahlt. Beide Sendungen sind online aufrufbar. Weil Art Discount 24 die aktuelle Edition der STWST-Community-Währung Gibling gestaltet hat, wird die neue ChartDiscount24-Show in der STWST performt. Die Shows funktionieren in der Zusammenarbeit von fast nur ehrenamtlichen und nur wenigen hauptamtlichen Akteur:innen. Das ist zudem bemerkenswert, denn einen exakten Zeitablauf, den eine Live-Sendung verlangt, mit so vielen Darsteller:innen im DIY-Modus zu managen, ist die nächste gelungenen Performance. 

 

ChartDiscount

ChartDiscount ist bald wieder live zu sehen, natürlich mit einer Performance von The Curators:
Am 13. März 2025, LIVE aus der STWST auf DorfTV.

ChartDiscount24 - LIVE in der KAPU 2024: https://dorftv.at/video/44083

ChartDiscount24 - LIVE in der KAPU 2023: https://dorftv.at/video/41672

 

Aktueller Gibling von Art Discount 24

Die aktuelle Edition No.13 der STWST-Communitywährung Gibling wurde von Art Discount 24 gestaltet. Der Gibling wird eine zentrale Rolle in der ChartDiscount-Show spielen. Interview in der Versorgerin #142: https://versorgerin.stwst.at/artikel/06-2024/gibling-no-13-anlagetipps