Über das Leben von Elfriede Grünberg ist kaum etwas bekannt. Es gibt weder Informationen über ihre schulische Laufbahn noch Fotos von ihr. Bei ihren Mitmenschen soll sie aber einen »liebenswerten« Eindruck hinterlassen haben, schreibt Werner Retzl, Vorsitzender der Welser Initiative gegen Faschismus in einem Text über die Grünberg-Familie.1 Sicher ist, dass Elfriede Grünberg am 1. April 1929 in Wels geboren wurde und vier ältere Geschwister hatte. Ihr Vater Max Grünberg war 1920 von Rumänien nach Österreich gezogen und führte in Wels ein Textilgeschäft. Nachdem er die Firma 1935 schließen musste und sich die Familie Grünberg in einer existenziellen Notlage befand, brachte sie ein Freund in seinem Gartenhaus in der Knorrstraße 3 unter. Dort wurden im Jahr 2008 drei »Stolpersteine« verlegt. Sie tragen Elfriedes Namen sowie jene ihrer Mutter Ernestine und der Tante Klara Grünberg. Die Familie war von der Gestapo nach Wien gebracht worden, wo sich die Wege trennten. Vater Max dürfte es geschafft haben, nach Shanghai zu emigrieren. Elfriede und ihre Mutter Ernestine wurden 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinez im heutigen Belarus deportiert, wo sie wahrscheinlich am 15. Juni ermordet wurden.
Zusatztafeln statt Umbenennung
Die Welser Initiative gegen Faschismus vergibt seit dem Jahr 2000 in Gedenken an das jüngste Holocaust-Opfer von Wels jährlich den Elfriede-Grünberg-Preis an Personen, die sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus sowie für Menschenrechte und Integration einsetzen. Die Initiative fordert außerdem seit Jahren die Benennung einer Straße in Wels nach Elfriede Grünberg. Noch immer tragen stattdessen einige Straßen in Wels die Namen prominenter NS-Verbrecher. Eine Umbenennung wurde zuletzt im Jahr 2023 im Welser Gemeinderat diskutiert (siehe Versorgerin #140). FPÖ, ÖVP und MFG lehnten einen entsprechenden Antrag mit der Begründung ab, aufklärende Zusatz-tafeln würden reichen. Danach geschah über ein Jahr lang nichts, bis schließlich die Zusatztafeln ohne jegliche begleitende Öffentlichkeits-arbeit installiert wurden. Kurz darauf mussten die Tafeln wieder abgenommen und ausgetauscht werden. Der Grund: Fehler im Text. Eine Geschichte, die stellvertretend für den nachlässigen Umgang der Stadt Wels in Bezug auf den Nationalsozialismus steht. So wie die Zusatzschilder in einer ungeschickten Hau-Ruck-Aktion entstanden, so erfolgte auch die Benennung einer Welser Schule.
»Grünberg Schule« wider Willen
Abseits der öffentlichen Wahrnehmung bekam im Jahr 2024 eine Welser Volksschule den Namen »Grünberg Schule«. Auch dieser Entscheidung liegt ein Antrag im Gemeinderat zugrunde. Alle Fraktionen einigten sich darauf, »eine Schule im Zuständigkeitsbereich der Stadt Wels, bevorzugt eine Mittelschule, entsprechend der rechtlichen Möglichkeiten, nach Elfriede Grünberg zu benennen.«
Ursprünglich sollte es also eine Mittelschule sein mit der Begründung, dass die Benennung einer Schule, die von Schüler:innen im gleichen Alter besucht wird, ein »Zeichen der lebendigen Befassung mit dem Thema« wäre. Elfriede Grünberg war zum Zeitpunkt ihrer Ermordung
13 Jahre alt. Schlussendlich fiel die Wahl jedoch auf jene Schule, die dem letzten Wohnort der Familie Grünberg am nächsten war und damit auf eine Volksschule. Nicht nur räumlich sei damit ein Bezug gegeben. Als Elfriede aus Wels weggebracht wurde, war sie neun Jahre alt,
lauteten weitere Überlegungen, die zu dieser Entscheidung führten.
Darüber zeigt man sich in der betreffenden Schule allerdings »nicht glücklich«. Laut dem Direktor sei man vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Gedenken werde natürlich unterstützt, aber eine Volksschule habe andere Aufgaben und sei nicht der passende Ort dafür. Grundsätzlich gehöre es ohnehin zum Selbstverständnis der Schule, Toleranz, Gemeinschaft und ein gutes Miteinander zu leben. Einspruchsmöglichkeiten bei der Bildungsdirektion hätte es gegeben, aber die Information darüber kam zu spät, heißt es. Nun weist eine Informationstafel an der Schule auf die neue Namensgeberin hin, mehr jedoch nicht.
Eine Schule bekam also, ohne einbezogen zu werden, einen Namen übergestülpt, für den sich viele Welser Antifaschist*innen ein würdigeres Gedenken wünschen. Hat die Stadt Wels diese Chance mit ihrer Entscheidung verspielt? Der Holocaust wird hierzulande meistens erst in der Sekundarstufe thematisiert, nicht in der Volksschule. War’s das also mit der Idee, das Gedenken an Elfriede Grünberg mit Leben zu füllen? Das wirft die Frage auf, ob man mit Kindern im Volksschulalter über die Zeit des Nationalsozialismus und den Holocaust sprechen kann, darf oder soll. Schnell tauchen Bedenken auf, dass es die Kinder überfordern könnte. Schließlich sind die Gräuel und die Verbrechen jener Zeit schon für Erwachsene schwer zu verkraften. Ein Blick auf die Holocaust-Pädagogik könnte Lösungen bieten, um die Situation noch zu retten.
Mit Kindern über die NS-Zeit sprechen?
In der Holocaust-Pädagogik bestehe »breiter Konsens« darüber, dass das Thema auch in der Volksschule behandelt werden soll, sagt Christian Angerer von der Pädagogischen Hochschule OÖ, der auch Historiker in der Gedenkstätte Mauthausen und bei erinnern.at ist. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jakob Feyerer erstellte er Unterrichtsmaterialien für die Volksschule, die das Buch »Marie aus Linz« von Vera Wagner didaktisch begleiten. Das Buch erzählt die Geschichte von Marie Spitz, einem jüdischen Mädchen aus Linz, das bei ihrer Tante aufwächst. Sie erlebt eine »behütete und glückliche Kindheit«, bis sie 1938 die Volksschule verlassen muss, die Tante ihren Job verliert und die Familie aus der Wohnung geworfen wird. In der Pogromnacht flüchtet die Familie, Marie wird mit einem Kindertransport zunächst nach England gebracht und reist schließlich in die USA. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg erfährt das Mädchen, dass viele ihrer Verwandten im Holocaust ermordet wurden.
(Über-)Lebensgeschichten erzählen
»Wichtig ist bei Biografien nicht nur die Verfolgungsgeschichte zu erzählen, sondern auch das Leben davor und danach. Wie sah das Familienleben der Protagonist:innen aus? Welche Interessen hatten sie? Womit haben sie gerne gespielt?«, sagt Christian Angerer. Als Leitfaden für diese Art der Geschichtsvermittlung an Kinder formulierte die israelische Gedenkstätte Yad Vashem einige Prinzipien. Dazu gehört auch: Überlebensgeschichten auswählen. So wie jene von »Marie aus Linz«. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Kontext der Verfolgung und der Massenmorde ausgeklammert werden soll. »Man kommt am Begriff des Holocausts nicht vorbei«, sagt Angerer in einem Studiogespräch auf dorftv. Dennoch stehe nicht die Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus im Mittelpunkt. Die Schüler:innen sollen nicht emotional überwältigt werden, aber sie sollen wissen, worum es geht. Es soll klar werden, dass es Verfolgung gegeben hat und warum.
»Ich erzähle nicht vom Massenmord, sondern davon, was Ilse erlebt hat«, sagt Gertraud Hoheneder, Volksschullehrerin in Pension, die sich intensiv mit der Holocaust-Pädagogik in der Primarstufe beschäftigte und viele Projekte mit ihren eigenen Klassen umsetzte. Sie ist zudem eine der Autorinnen des Kinderbuchs »Weg von hier …«, das die Geschichte von Ilse Maas erzählt. Hoheneder besuchte Maas mehrmals in Israel und wollte ihr mit dem Buch wieder einen Platz in Linz geben, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte. Ilses liebstes Spielzeug war ihre Puppe namens Liesl. Sie liebte außerdem Ausflüge mit ihren Eltern und tanzte Ballett. Eines Tages beobachtete sie vom Fenster aus den Einmarsch der Nationalsozialisten und alles veränderte sich. Einstige Freundinnen durften nicht mehr mit ihr spielen, sie wurde aus der Schule ausgeschlossen und die Familie verlor die Wohnung. Ihre Flucht führte Ilse zunächst nach Wien, dann nach Shanghai. Schließlich wanderte sie 1949 nach Israel aus. Begleitend zu dem Buch »Weg von hier…« ist ebenfalls didaktisches Material für den Unterricht verfügbar.
Einen Rahmen bieten
»Kinder bekommen ohnehin viel mit: in der Familie, in Medien oder durch Gedenkorte in ihrer Umgebung«, sagt Historiker Christian Angerer. Während Kinder im Alltag diesen Erzählungen ohne Einordnung ausgesetzt seien, könne der Unterricht den Rahmen bieten, um wertschätzend und fachlich richtig über das Thema zu sprechen. Gertraud Hoheneder erzählt, dass ihre Schulkinder den Anstoß gaben, um über den Holocaust zu sprechen. Sie unterrichtete in einer Volksschule in Ansfelden. Dort auf der Kremsbrücke erinnert eine Gedenktafel an den Todesmarsch vom April 1945, als die National-sozialisten tausende Menschen aus den Konzentrationslagern Mauthausen-Gusen zu Fuß ins 55 Kilometer entfernte Anhaltelager Gunskirchen trieben. Auf der Gedenktafel ist von einer jüdischen Frau und ihrer Tochter zu lesen. Die Mutter brach aus Erschöpfung zusammen und konnte nicht mehr aufstehen. Die SS-Männer erschossen sie vor den Augen des Kindes und warfen die Frau über die Brücke in die Krems. »Die Schulkinder gehen jeden Tag an der Gedenktafel vorbei. Natürlich beschäftigt sie das und sie haben Fragen«, sagt Gertraud Hoheneder.
Gedenken, aber richtig
Für sie war das »der Beginn von ganz viel Neuem«: von Reisen zu Yad Vashem in Israel, von Begegnungen mit Zeitzeug:innen und von Weiterbildungen. An der PHOÖ werden in unregelmäßigen Abständen Fortbildungen angeboten – zuletzt auf Initiative von erinnern.at mit rund 20 teilnehmenden Lehrpersonen. Auch Hoheneder bietet Weiterbildungen an, etwa in Graz und Innsbruck, und arbeitet noch in ihrer Pension mit Lehrpersonen zusammen, die sich für das Thema engagieren. Sie betont, dass es darum geht, die Kinder zu sensibilisieren, aber nicht zu überfordern. Sie selbst führte ihre Schulklassen schrittweise heran, beginnend bei den Themen Selbstwahrnehmung und Toleranz, über die Geschichte der eigenen Gemeinde bis zur konkreten Arbeit anhand einer Biografie. »Es geht um empathisches Lernen, nicht um einen vorgezogenen Geschichtsunterricht«, sagt Hoheneder. Mit einer ihrer Klassen beteiligte sie sich an einem schulübergreifenden Gedenkprojekt in Gusen, das von der US-amerikanischen Künstlerin Karen Finley betreut wurde. Die Schüler:innen gestalteten Herzen aus Ton und stellten sie am Kinder-Denkmal in Gusen zu einem großen Herz zusammen. »Meine Klasse war sehr offen und sensibilisiert«, schwärmt Hoheneder. Auch zum Gedenken an die Kinder aus dem KZ Mauthausen gestalteten sie kleine Kunstwerke: Die Schüler:innen überlegten sich, was die Kinder damals interessiert hatte und bemalten für je ein Kind einen Stein. Ein Junge malte zum Beispiel einen Fußball. »Gedenken mit den Kindern ist wichtig, aber im richtigen Sinne. Es braucht Anknüpfungspunkte«, betont Hoheneder. Womöglich kann also auch eine »Grünberg Schule« in Wels eine Chance sein.
Links zu Lernmaterialien:
https://www.weg-von-hier.at/
https://www.erinnern.at/lernmaterialien/lernmaterialien-kuratisch