Griff nach den gelben Sternen

In seinem unlängst erstmals auf deutsch erschienenen Essay »Revisionismus von links« analysiert Alain Finkielkraut die Relativierung der Shoah durch linke Intellektuelle und setzt sie in Bezug zu den ideengeschichtlichen Hintergründen. Alexandra Bandl stellt das Buch für uns vor.

In seiner Autobiographie »À la première personne« (2019) schildert Alain Finkielkraut, wie er in den späten 1970er-Jahren mit der erschreckenden Erkenntnis konfrontiert wurde, dass nunmehr auch linke Gruppierungen ungeniert verkündeten, »die Juden seien nicht [auf die Weise] umgekommen, wie man uns glauben machen wollte«1. Diese Erfahrung trug zu einer intensiven Beschäftigung mit den zeitgenössischen Formen des Judenhasses bei, aus der auch die Studie »Revisionismus von Links« hervorging, die 1982 in Frankreich unter dem Titel »L‘Avenir d‘une Négation« erschien. 

Durch die Übersetzung von Christoph Hesse für den ça ira-Verlag wurde Finkielkrauts Essay nun erstmals auch der deutschsprachigen Leser-schaft zugänglich gemacht. Das Nachwort von Niklaas Machunsky ordnet nicht nur einige der historischen und ideologischen Konstellationen prägnant ein, sondern unterstreicht auch die Bedeutung seiner Thesen. Am Beispiel prominenter linker Intellektueller und unter Rückgriff auf zahlreiche ideengeschichtliche Referenzen analysiert Finkielkraut einen Angriff auf die Erinnerung an die Shoah, der bis heute nachwirkt und im Zentrum antisemitischer Diffamierungen steht.

Den Ausgangspunkt bildet eine Kontroverse um die Veröffentlichung eines Traktats des französischen Neonazis Robert Faurisson im Jahr 1980, in dem dieser die Gaskammern von Auschwitz als jüdische Erfindung verleumdete. Während der revisionistische Inhalt von Faurissons Buch kaum ernst zu nehmen war, erregte es Aufmerksamkeit, weil ausgerechnet Noam Chomsky, der linke Public Intellectual schlechthin, ein Vorwort beisteuerte, in dem er die Meinungsfreiheit des Autors verteidigte. 

Finkielkraut erkannte in den öffentlichen Reaktionen eine Entwicklungstendenz, die über den eigentlichen Skandal hinauswies: eine zunehmende Relativierung des Holocaust in bestimmten Strömungen der Linken, deren ideologische Grundannahmen sie offenbar an der Besonderheit des jüdischen Schicksals zweifeln ließen. Bemerkenswerterweise geschah dies kurz nachdem sich der Holocaust als Begriff für die nationalsozialistische Judenvernichtung in der westlichen Öffentlichkeit langsam durchzusetzen begann. 

Finkielkraut zeichnet in seinem Essay nach, dass Faurisson lediglich der Abkömmling einer viel älteren Argumentationslinie ist. Beginnend mit der Dreyfus-Affäre am Ende des 19. Jahrhunderts bis hin zu den linksradikalen Splittergruppen der 1970er Jahre wird geschildert, wie der universalistische Anspruch des Marxismus von Anfang an mit einem grundsätzlichen Unverständnis gegenüber der jüdischen Partikularität einherging. Sowohl der Antisemitismus als auch das Judentum selbst galten in der marxistischen Geschichtsphilosophie als vormoderne Relikte, die mit der proletarischen Revolution von selbst verschwinden würden. 

Ein unerwartetes historisches Beispiel liefert Wilhelm Liebknecht, eine Symbolfigur der Arbeiterbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Wenig bekannt ist, dass der orthodoxe Marxist Liebknecht 1899 ausgerechnet in der legendären, von Karl Kraus herausgegebenen Zeitschrift »Die Fackel« gegen Dreyfus Stellung bezog, indem er dessen Unschuld anzweifelte. Es schien ihm unvorstellbar, dass »die herrschende Klasse« sich völlig grundlos gegen einen ihresgleichen wenden könnte, da ihr einziger und entscheidender Gegner das Proletariat sei. Den Hinweis auf den antisemitischen Charakter der Affäre tat Liebknecht als Ablenkungsmanöver der »Ausbeuterklasse« ab. 

»Nichts Neues unter der Sonne« 

Ein prominenter Stichwortgeber des linken Revisionismus nach 1945 war Paul Rassinier, ein Überlebender der Konzentrationslager in Buchenwald und Mittelbau-Dora, der laut dem französischen Historiker Pierre Vidal-Naquet »als erster in systematischer Weise dargelegt hat, dass es keinen Genozid gegeben hätte«2. Finkielkraut kritisiert die Verblendung des ehemaligen kommunistischen Widerstandskämpfers, der sich trotz eigener Leidensgeschichte jeder Erfahrung verweigert, die seinen Gewissheiten widersprechen könnte. Obwohl Rassinier »der roten Fahne, nicht dem Hakenkreuz«3 folge, leugne er die Existenz der Gaskammern und beklage den verhängnisvollen Einfluss des internationalen Judentums, dessen Ziel es am Vorabend des Zweiten Weltkrieges gewesen sei, »den friedvollen Hitler in die Knie zu zwingen und die Welt trotz des gerechten Münchner Abkommens in einen Konflikt zu stürzen« (128). 

Besonders eindringlich weist Finkielkraut darauf hin, dass die nationalsozialistischen Todesfabriken mit ihren Gaskammern nicht in das Schema des Klassenkampfes und des »universellen Leids abertausender Generationen« passen würden. Das zweckfreie Morden schien die Hoffnung des linken Fortschrittsoptimismus auf einen revolutionären Umbruch zu dementieren. So wurde die Shoah relativiert und als bloße »Extremform« kapitalistischer Barbarei interpretiert. Die jüdischen Opfer verloren in dieser Argumentation ihre Besonderheit und ihr Schicksal wurde in die allgemeine Geschichte der Klassenkämpfe eingeebnet. 

Einer vergleichbaren Argumentation spürt Finkielkraut in den Schriften von Guy Hocquenghem nach, der ein Vorwort zur französischen Ausgabe einer Studie über die Verfolgung Homosexueller im Nationalsozialismus geschrieben hat.4 Der einflussreiche Theoretiker der französischen Schwulenbewegung verfolge in seiner Einführung das Ziel, die Juden als »Pseudo-Opfer« und »Usurpatoren« zu entlarven, die sich den Status des exemplarischen Opfers widerrechtlich angeeignet hätten. Die Erinnerung an das eigene Schicksal, so Hocquenghems Argumentation, habe sich nur durchgesetzt, weil die jüdischen Überlebenden – im Gegensatz zu anderen Verfolgten wie Homosexuellen oder politischen Häftlingen – »die Massen zum Weinen bringen« konnten und für die Alliierten als »melodramatischstes Opfer« (128) fungierten. 

Die Relativierung der Shoah diene demnach auch als Strategie, die vermeintliche Dominanz der jüdischen Erinnerungskultur zu untergraben und andere Opfergruppen in den Vordergrund zu rücken. So postulierte Hocquenghem, dass die Juden von der übermächtigen Schirmherrschaft ihrer amerikanischen Glaubensbrüder profitiert hätten. Diese Sonderbehandlung der jüdischen Opfer des Nationalsozialismus ergebe sich daher nicht aus ihrem tragischen Schicksal, sondern aus ihrer medialen Dauerpräsenz und ihrem beachtlichen Einfluss in den Hinterzimmern der Mächtigen.

Finkielkraut weist auf ein wiederkehrendes Muster hin: Zunächst erfolgt eine Identifikation mit der jüdischen Opferrolle, die sich dann in einen aggressiven Verdrängungsmechanismus verkehrt. Der Revisionist inszeniert sich als Opfer eines Erinnerungsregimes und stellt sich in die Tradition von Dreyfus, um die moralische Autorität des verfolgten Juden für sich zu beanspruchen. Die anfängliche Anlehnung an das jüdische Leiden schlägt schließlich in Feindseligkeit um, das jüdische Opfer entwickelt sich vom Vorbild zur Bedrohung. Diese Argumentation offenbart eine perfide Täter-Opfer-Umkehr: Juden werden nicht nur als Nutznießer einer hegemonialen Erinnerungspolitik dargestellt, sondern vielmehr als Hindernis für andere Gruppen, die ihrerseits um die rechtmäßige Anerkennung der eigenen Leidensgeschichte kämpfen. Finkielkrauts Analyse legt offen, wie die vermeintlich emanzipatorische Parteinahme für die Unterdrückten in eine aggressive Umkehrung der Erinnerungspolitik mündet – bis hin zur Relativierung oder gar Leugnung der Shoah. 

Palästinenser als die wahren Juden 

Mit scharfem Blick analysiert Finkielkraut, wie diese Haltung, die sich auch aus einer generellen Tabubruchmentalität der 68er speise, von den nachfolgenden Generationen auf die Spitze getrieben wurde. Er zeigt, dass die Linke seit den 1970er-Jahren eine radikale Gleichsetzung aller Opfergruppen betrieb und den Holocaust nicht als singuläres Ereignis begriff. Aus der vermeintlich antiautoritären Skepsis gegenüber einer absoluten historischen Wahrheit sei die radikale Schlussfolgerung gezogen worden, dass es in der Geschichte überhaupt keine objektiven Fakten gebe. Gemäß dieser Denkweise erschien es auch unumgänglich, dass »neue Verdammte« an die Stelle der Juden traten, um das universalistische Narrativ von Gewalt und Unterdrückung konsequent fortzuschreiben.

Die Instrumentalisierung des Opferstatus zeige sich in besonderer Weise in der »palästinensischen Sache«, deren Advokaten gleichermaßen das Erbe der Résistance – als Widerstand gegen die »zionistische Besatzungsmacht« – und das Symbol des gelben Sterns für sich beanspruchten. Der linke Revisionismus sehe in Israel ein kolonialrassistisches und betrügerisches Regime, dessen Legitimität in der westlichen Welt vor allem durch die Gräuel des Holocaust begründet werde. Das Gedenken an das Menschheitsverbrechen werde zunehmend als perfider »Schuldkult« dargestellt, der nicht zuletzt als Alibi missbraucht werde, um von den eigenen Schandtaten des Kolonialismus abzulenken. In dieser Sichtweise wurden die Palästinenser zu den »neuen Juden«, während der jüdische Staat in einer radikalen Umkehrung als das absolut Böse verunglimpft und mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt wurde. 

Die Vorstellung, dass Juden als Kollektiv keine eigenen nationalen Interessen verfolgen und im Gegensatz zu anderen nicht an die erlittenen Grausamkeiten erinnern dürfen, während anderen Gruppen genau dies zugestanden wird, betrachtet Finkielkraut als gefährliche Neuauflage des klassischen Judenhasses. Da er bereits 1982 die wesenhafte Verbindung zwischen Antisemitismus und dem Angriff auf die Erinnerung erkannte, warnt Finkielkraut in seinem Buch davor, dass der vermeintlich undogmatische und politisch korrekte Revisionismus mit der Zeit an Einfluss gewinnen wird. Damals sei es den Überlebenden aufgrund der zeitlichen Nähe zu den Ereignissen noch gelungen, diese Rhetorik durch ihre Zeugnisse in Frage zu stellen. Mit dem allmählichen Verblassen des »Hitler-Traumas« werde diese Umdeutung der Geschichte jedoch auf immer weniger Widerstand stoßen. 

Der Versuch, die Präzedenzlosigkeit des Holocaust infrage zu stellen, ist heute längst zu einem akzeptierten Bestandteil erinnerungskultureller und politischer Debatten geworden. Dieser Verfall des historischen Urteilsvermögens zeigt sich auch in der Weigerung, das Massaker vom 7. Oktober 2023 und die Bedrohung, der sich Juden in westlichen Gesellschaften durch mehrheitlich muslimische Täter und ihre linken Stichwortgeber ausgesetzt sehen, klar zu verurteilen. Zwischen der Niederschrift von »L‘Avenir d‘une Négation« und dem Erscheinen der deutschen Übersetzung haben nicht ohne Grund zehntausende Juden ihrer französischen Heimat den Rücken gekehrt. 

Das Buch

Alain Finkielkraut: Revisionismus von links. Überlegungen zur Frage des Genozids
ça ira-Verlag, Freiburg 2024, 204 Seiten. 
Aus dem Französischen von Christoph Hesse. 

 

[1] Französische Ausgabe von 2019. Zitat aus deutscher Übersetzung aus dem Jahr 2022 mit dem Titel »Ich schweige nicht«, S. 56-57.
[2] Pierre Vidal-Naquet: Un Eichmann de papier. In: Esprit, September 1980; ders.: Les Juifs, la Mémoire et le Présent. Paris 1981, zitiert nach: Finkielkraut S. 95.
[3] Finkielkraut: Ich schweige nicht, S. 56-57.
[4] Guy Hocquenghem: Vorwort zu Heinz Heger vielzitierter Studie: Les Hommes au triangle rose. Paris 1981, S. 9.