Die Telemetrie von Todesboten

Das Symposion »Investigating The Kill Cloud« des Berliner Disruption Network Institute förderte neue Erkenntnisse über den aktuellen Informationskrieg zutage. Barbara Eder über den Vortrag der Whistleblowerin Lisa Ling zu Drohnenflügen und Datenhunger. 

Der Joystick ruht leicht zwischen den Fingern, er ist weitaus mehr als eine Verlängerung der menschlichen Hand. Oft bedarf es nur einer minimalen Bewegung, um damit schweres Gerät zu steuern. Eine Kriegsdrohne hat mindestens vier Rotoren und nicht selten dasselbe schnittige Design wie ein Freizeitflieger aus dem Elektrodiscounter. Im Gegensatz zum kindgerechten »Spielzeug« wird eine solche jedoch von eigens dafür ausgebildeten Drohnen-Operator:innen gesteuert. Kamikaze- und Loitering-Drohnen mit eingebautem Selbstzerstörungsmechanismus wirken bereits selbsttätig: Ohne menschliche Steuerung können sie Ziele identifizieren, auswählen und angreifen. Sogenannte Künstliche Intelligenz, Sensoren und Algorithmen treffen dabei Entscheidungen in Echtzeit. Der Akt der Gewaltanwendung wird bewusst von Fragen der menschlichen Verantwortung entkoppelt. Während der Gamescom 2024 – einer der weltweit größten Messen für Videospiele in Köln – haben Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundeswehr um technikaffine Nachwuchskräfte geworben, der Grund: eine angenommene Schnittmenge zwischen den Fähigkeiten von Gamer:innen und den Anforderungen im Militär- und Geheimdienstbereich. Die Parallele kommt nicht von ungefähr: Beide Akteur:innen sitzen vor Bildschirmen und verarbeiten Informationen. Wo der Screen des/der Gamer:in bewegte Szenarien aus virtuellen Realitäten zeigt, haben es angehende Cyber-Soldat:innen mit operativen Bildern zu tun. Letztere sehen lediglich Ausschnitte eines Geschehens – sie stehen ganz für sich und wirken als partes pro toto. Die Durchführung einer militärischen Operation erscheint somit einfach, der Akt des Tötens als »gamer’s delight«: Der Screen entfremdet vom realen Geschehen und sorgt für die Diffusion von Verantwortlichkeiten. Zu Beginn dieses Jahrhunderts hat der amerikanische Medienwissen-schaftler Roger Stahl den Begriff des »Militainment« – im Sinn einer Synthese von Militär und Entertainment – geprägt. Um diese Form der »Unterhaltung« nachhaltig im Bewusstsein zu verankern, investiert das US-amerikanische Verteidigungsministerium jährliche hohe Summen in Videospiele, die sowohl zu Trainingszwecken als auch für Rekrutierungsmaßnahmen dienen. Das virtualisierte Environment senkt Hemmschwellen und täuscht falsche Umgebungen vor. Das Töten via »remote control« wird oft als Argument zur Aufrechterhaltung der eigenen »Sicherheitsstrategie« angeführt und soll den Mythos vom »sauberen« und »präzisen Krieg« glauben machen: In geschützter Umgebung müssten die Soldat:innen nicht länger ihr Leben riskieren, infolge der Trennung von Waffe und Körper blieben sie unversehrt. 
        
Auch das Töten aus sicherer Entfernung zeitigt aber reale Folgen. Traumatisiert bleiben nicht nur die Überlebenden von sogenannten drone-strikes zurück, deren Familienangehörige oft nur wenige Meter neben ihnen getötet werden. Auch die Akteur:innen hinter den Screens sind nicht unversehrt. Im Dokumentarfilm National Bird (2016) von Sonia Kennebeck kamen erstmals drei Whistleblower:innen zu Wort, die als »drone operators« vom US-amerikanischen Verteidigungsministerium rekrutiert worden waren. Neben Daniel Hale, einem ehemaligen Analysten der National Security Agency (NSA), und der Whistleblowerin Lisa Ling spracht Heather Linebaugh, ehemalige Bildanalytikerin der U.S. Air Force, im Film über das fehlende Bewusstsein für die psychische Gesundheit von Cyber-Soldat:innen sowie die aggressiven Rekrutierungsstrategien der US-Army. Linebaugh, die nach ihrer Kündigung und vielen bürokratischen Kämpfen als erste Veteranin des Drohnen-Programms wegen einer Posttraumatischen Belastungsstörung eine Invalidenrente erhält, erzählte von Kolleg:innen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit Suizid begangen haben, und davon, dass sie trotz diagnostizierter Depression und Suizidgedanken von ihren Vorgesetzten zum Weitermachen gezwungen wurden.                     

Lisa Ling war Technikexpertin der U.S. Air Force und arbeitete unter anderem als Daten-Analystin im Drohnenprogramm. Sie kritisierte neben der mangelnden Transparenz auch die ethischen Implikationen der gezielten Tötungen durch Drohnen – und wurde zur Whistleblowerin. Neben NSA-Whistleblower:innen Thomas Drake, Jesselyn Radack, Leiterin des Whistleblower- und Quellenschutzprogramms (WHISPeR) bei ExposeFacts, und Naomi Colvin, Whistleblower-Unterstützerin bei »Blueprint for Free Speech«, war sie im November letzten Jahres als Sprecherin beim Symposion »Investigating The Kill Cloud« im Berliner Disruption Network Institute präsent. Als vormalige Kommunikationstechnikerin der Air National Guard kam Ling früh in Kontakt mit den technischen Architekturen von militärischen Nachrichtendienstplattformen, die Sensordaten gezielt mit Standorten verknüpfen. Die Einführung neuer Technologien bei der US-Armee habe ihr zufolge nicht zu weniger Bürokratie geführt, sondern zu einem unstillbaren Datenhunger.            

Ling informierte in ihrem Vortrag »Verantwortung in der datengetriebenen Kriegsführung: Erkenntnisse einer ehemaligen Insiderin« vor allem über militärisch relevante Datensammlungen im »Internet of Things« (ioT). Die »Kill Cloud«, gespeist aus Informationen von Drohnen, Satelliten und Sensoren, beziehe ihre Daten vor allem aus digitalen Kriegsgeräten. Für militärische Zwecke werden diese dort gespeichert, verwaltet und (maschinell) ausgewertet. Militärische Systeme wie Gospel oder Lavender, die aktuell im Gaza-Krieg Verwendung finden, verarbeiten zudem auch private Informationen aus sozialen Medien, Kreditkartennutzung und Online-Kommunikation, um militärische Ziele zu bestimmen. Im Krieg zwischen Israel und der Hamas operieren die israelischen Streitkräfte mithilfe eines auf künstlicher Intelligenz (KI) basierenden Zielerfassungssystems. Die Israel Defense Forces (IDF) nutzen Daten aus Satellitenbildern und Signalaufklärung (SIGINT) in mindestens drei KI-gestützten Entscheidungsunterstützungs-systemen. Diese Abteilung, die für geheime Operationen verantwortlich ist, sprach deshalb auch vom »weltweit ersten KI-Krieg«. Infolge eines Automation Bias – die Tendenz, Entscheidungen automatisierten Systemen zu überlassen – erhöhe dadurch das Risiko von Fehlern oder Missbrauch drastisch, so Ling. Sobald KI zur Zielerfassung und -auswahl genutzt wird – egal ob am Ende ein Mensch die finale Entscheidung trifft oder nicht – könne das gesamte planetare Datennetz zur potenziellen Kriegszone werden, erklärte Ling. Dadurch wird nicht nur das Kriegsgebiet entgrenzt, sondern jeder vernetzte Mensch zu einem möglichen »Target«. Die »Kill Cloud« schaffe nicht nur ein System, das vernetzte Kriege erst ermöglicht, sondern legitimiert diese auch: Die Möglichkeit, ohne unmittelbares Risiko für eigene Truppen Krieg zu führen, macht militärische Interventionen politisch opportun. Dies beschleunige die Normalisierung von Gewalt, ohne dass wir dabei die unmittelbaren Kosten für den Krieg – moralisch und menschlich – noch zu spüren bekommen. Die »Kill Cloud«, welche im Zentrum der Konferenz stand, ist weitaus mehr als nur ein weiteres Waffensystem im Informationskrieg. Sie ist ein dezentraler Datenkomplex, der sich jeglicher staatlicher Kontrolle entzieht. Bislang ermangelt es an rechtsverbindlichen Abkommen, um den Einsatz der mit diesen Informationen operierenden Waffensysteme zu begrenzen oder zu verbieten; in Vorbereitung auf künftige Kriege werden stattdessen weitere Überwachungsplattformen über Cloud-Services kontinuierlich miteinander vernetzt. 

Link zum Paper von Lisa Ling: 

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(Foto: Public Domain)